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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still
Autoren: Gerbrand Bakker
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Stückchen weiter. Er ist nicht so groß und muß sich auf die Zehenspitzen stellen, um über den Rand zu sehen.
    »Ist es gruselig?« fragt er.
    »Nein«, sage ich. »Findest du’s gruselig?«
    »Ein bißchen.«
    »Wann ist die Beerdigung?« ruft Ada von der Küche aus.
    »Am Dienstag«, rufe ich. »Davon merke ich aber nichts«, sage ich zu Ronald.
    »Hast du geweint?«
    »Nein.«
    »Kann ich irgendwas tun?« ruft Ada.
    »Warum nicht?« fragt Ronald.
    »Tja«, sage ich. »Entweder man muß weinen, oder man muß nicht weinen, das ist dann eben einfach so.«
    »Warum ist er tot?«
    »Er hat ein Ei gegessen, Ronald.«
    Darüber muß er lachen. »Wenn ich ein Ei esse, sterbe ich aber nicht!«
    »Nein, zum Glück nicht«, sage ich. »Kommt, wir setzen uns in die Küche. Möchtet ihr Mandeltörtchen?«
    »Ja!« ruft Ronald.
    »Ja bitte«, sagt Teun höflich.
    Wir gehen in die Küche. Der Kaffee läuft durch, das Blubbern übertönt das Summen der elektrischen Uhr. Ada hat zwei schöne Becher bereitgestellt. Ich nehme eine Packung Mandeltörtchen aus einem Hängeschrank und reiße die Folie auf.
    »Ich bin schon sehr froh, daß du da bist«, sage ich zu Ada, um ihre Frage zu beantworten.
    »Natürlich bin ich da«, sagt sie fast empört. »Und morgen bin ich auch da. Schlimm ist das, ausgerechnet zu Ostern, bei all den Feiertagen. Du mußt zu uns zum Essen kommen, und soll ich beim Vertretungsdienst anrufen und sagen, daß sie jemand zum Melken vorbeischicken sollen? Wim wollte eigentlich auch kommen, aber an der Kühlung vom Milchtank war was kaputt, und er muß dabeisein, wenn der Mann vom Kundendienst . . .«
    »Jetzt weinst du aber«, sagt Ronald. »Das seh ich.«
    Ich sage nichts. Die Jungen teilen sich einen Stuhl, weil der vierte Küchenstuhl im Wohnzimmer steht.
    »Ist Henk weg?« fragt Ronald.
    »Ja, der ist nicht mehr da.«
    »Warum ist er weg?«
    »Er war lange genug hier«, antworte ich.
    »Ist er wieder nach Brobent gefahren, wo seine Mutter wohnt?«
    »Ronald«, sagt Teun, den Mund voll Mandelmasse, »halt doch mal den Schnabel.«
    Ich bin so froh, daß sie da sind.Ada, Teun und Ronald sind gegangen, es ist wieder still im Haus, aber anders still. Besser still. Ich will mich nicht wieder auf den Küchenstuhl neben dem Sarg setzen. Ich gehe durch die Waschküche und den Stall nach hinten. Es ist fast schon Zeit, die Kühe auf die Weide zu bringen. Ich schaue kurz nach den Schafen und gehe dann zum Hühnerhaus. Die Schubkarre steht vor dem Eselstall. Eigentlich müßte ich ihn ausmisten. Nicht jetzt. Ich gehe wieder ins Haus und hole das Fernglas aus dem Schreibtisch. Dann stelle ich mich unübersehbar ans Seitenfenster und setze das Glas an die Augen. In fünfhundert Meter Entfernung steht Ada. Als sie mich sieht, hebt sie gleich die Hand und winkt. Mit der anderen Hand fuchtelt sie neben sich herum, und Teun und Ronald kommen ins Bild. Auch sie heben die Hand. Ich winke zurück und setze dann das Glas ab. Aber ich bleibe noch am Fenster stehen, mit dem Fernglas vor der Brust. Sie dürfen mich ruhig noch einen Augenblick so sehen. Wie lange hat sie da schon gestanden? Wie lange hat sie auf mich gewartet? Sie wußte, daß ich ans Fenster kommen würde. So wie ich wußte, daß sie dort stehen würde. Erleichtert stelle ich das Fernglas auf den Tisch. Jetzt kann sie hier wieder fröhlich schalten und walten.

    Ich habe noch einmal am Sarg gesessen und eine Zigarette geraucht; jetzt gehe ich zur Haustür hinaus und weiter zur Brücke. Ich setze mich aufs Geländer. Die Nebelkrähe hat ein paar Schrittchen seitwärts gemacht und sich zu mir hingedreht. Sie schaut mich an. Ich erwidere den Blick. Bis ich aus den Augenwinkeln einen Wagen sehe, der bei den Resten des Knechtshauses anhält. Ein Mann steigt aus. Heute ist ein grauer, unfreundlicher Tag, man sieht keine Schönwetterradler.Eine große Schar Bläßhühner schaukelt auf dem Kanal. Der Mann steht jetzt bei der Magnolie. Er greift nach einem Ast und rüttelt daran. Dann geht er zu der halben Mauer. Als der Mann schon eine ganze Weile reglos die nicht mehr vorhandene Treppe hinaufgestarrt hat, rutsche ich vom Geländer herunter und gehe auf die Straße. Die Esel kommen zum Zaun und laufen neben mir her. Er dreht sich um, als er mich kommen hört. Ein alter Mann mit einem verwitterten Gesicht. Einem Wind- und Wettergesicht.
    »Helmer«, sagt er.
    »Ich dachte, du wärst jemand von Staatsbosbeheer«, antworte ich.
    »Und ich wußte nicht, ob ich dich hier
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