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Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Titel: Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
Autoren: Doris Cramer
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MOGADOR 1525
    Alî el-Mansour war in die nahtlosen, weißen Tücher eines Mekka-Pilgers gehüllt, aller Körperhaare ledig und barhäuptig. Er saß auf einem Hocker in der Mitte des Raums, umgeben von großen Öllampen. Sie waren allerdings noch nicht entzündet, denn durch das Fenster fielen jetzt, am Spätnachmittag, die Strahlen der untergehenden Sonne in breiten Bahnen und tauchten den Raum in goldenes Licht.
    Für gewöhnlich schmückten dieses Zimmer farbige Wandbehänge und dichte Teppiche, die Tische waren unter Stößen von Büchern begraben, und vor Tür und Fenstern hingen gewebte Vorhänge aus Kamelhaar, die Wind und Zugluft abhielten. Heute jedoch war er leer, kahl und weiß, kalkweiß.
    » Salâm u aleikum * , meine Tochter«, sagte der Alte. » Friede sei mit dir. Wir müssen reden.«
    * Für Erläuterungen zu den einzelnen Fremdwörtern und Redewendungen siehe Glossar am Ende des Romans
    » Aleikum as salâm«, antwortete Azîza und ließ ihre Augen umherwandern, » auch mit dir sei Friede.« Sie war beunruhigt. Warum hatte er den Raum ausräumen lassen? Was ging hier vor? Dann aber küsste sie ehrerbietig seine Hände, legte sie an Stirn und Herz und setzte sich vor dem alten Arzt auf den Boden. Geduld und das Gefühl für den richtigen Moment waren wichtige Tugenden, hatte der Hakim ihr beigebracht.
    » Jeden Tag danke ich Allah für seine große Güte«, begann der Alte, und sein freundliches Gesicht erstrahlte. » Für die Güte, die er mir erwies, indem er mir dich als Tochter schenkte. Mit Freude unterrichtete und schützte ich dich und sorgte all die Jahre für dein Wohlergehen. Heute jedoch bedarf ich deiner Hilfe.« Mit beiden Händen umfasste er Azîzas Gesicht und küsste sie auf die Stirn. » Ich erbitte von dir eine Hilfe, die nur du allein mir erweisen kannst.« Seine Stimme zitterte.
    Dann wandte er sein Gesicht den schrägen Strahlen der Sonne zu und forderte: » Schau in meine Augen. Schau genau hin, damit du mir sagen kannst, was du siehst.«
    Azîza tat, wie ihr geheißen, und obwohl sie um die Schwere seiner Augenerkrankung wusste, erkannte sie erst bei der genauen Betrachtung im hellen Sonnenlicht, wie weit seine Erblindung fortgeschritten war. » Oh Abu, Vater!«, stöhnte sie.
    » Nur ruhig, du bist eine Heilerin!«, mahnte der alte Hakim. » Was siehst du? Beschreibe es mir genau, so wie ich es dich gelehrt habe.«
    Die junge Frau jedoch wandte das Gesicht ab.
    » Azîza, ich bitte dich! Sieh hin!«
    Und Azîza sah hin. » Dieses Auge …« Sie stockte und wandte erneut den Blick ab. Dann aber zwang sie sich zur Ruhe. Behutsam legte sie ihren Finger unter das linke Auge des Mannes und untersuchte es sorgfältig. » Es sieht aus, als sei es mit Milch gefüllt, mit geronnener Milch«, meinte sie, um Sachlichkeit bemüht. » Das andere ebenfalls. Doch nein, das rechte ist nicht ganz gefüllt, nur ein Teil scheint milchig zu sein.«
    » Gut«, nickte der Alte zufrieden. » Nun sag mir, wie nennen wir diese Krankheit, und welche Therapie kennst du bei einem derartigen Befund?«
    » Es ist die Cataracta, der Schleier, mein Vater. Und es gibt nur einen Weg, diesen Schleier zu beseitigen und den starren Blick zu verhindern. Das ist die Operation, welche wir ›den Star stechen‹ nennen.«
    » Sehr gut! So ist es.« Die nüchterne Art des Hakim half Azîza, ihre Fassung wiederzugewinnen. Dennoch zitterte sie, als er ihre Hand ergriff. » Und nun beantworte mir folgende Frage: Wie oft hast du mir schon bei dieser Operation zugesehen, und wie oft hast du mir dabei geholfen?«
    » Oft, Vater, sehr oft sogar.«
    Azîza erriet, was kommen würde, und sie versteifte sich. » Nein, verlange das nicht von mir, das kann ich nicht tun!« Sie umklammerte die Knie des Alten. » Ich flehe dich an, bitte mich nicht darum!«, beschwor sie ihn unter Tränen.
    Der Vater ließ sie weinen. Seine Hand ruhte leicht auf ihrem Kopf, die Finger streichelten den weichen Flaum am Ansatz ihrer Locken und strichen sanft über ihren verspannten Nacken. Er wartete geduldig.
    » Du weißt, wir haben keine Zeit zu verlieren«, sagte er leise, als sie sich endlich gefangen hatte. » Außerdem habe ich die Sterne befragt. Sie stehen zurzeit günstig, und das sollten wir nutzen. Nun ruh dich einen Moment aus, mein Kind, bevor wir mit der Operation beginnen.«
    Er entnahm einer Silberschale zwei der von ihm selbst gefertigten Betäubungspillen und schluckte sie hinunter. Wie Alî el-Mansour kannte auch seine Tochter die
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