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Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Titel: Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
Autoren: Doris Cramer
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Vater des Herrn Jesus, ich bitte dich, mach, dass unser Vater bei uns bleiben kann. Ich flehe dich an, lass uns unseren Vater! Du hast doch bereits unsere Mütter zu dir geholt. Wir können nicht allein in Antwerpen bleiben.« Sie überlegte, bevor sie entschlossen fortfuhr: » Als Dank werde ich mich taufen lassen und in deine Kirche eintreten, sogar gegen Vaters Rat. Das gelobe ich. In Ewigkeit, Amen.« Mehr fiel ihr nicht ein.
    Ein Wort aber drängte sich in ihrem Kopf mehr und mehr in den Vordergrund: Allein! Nach Vaters Tod würden sie ganz allein sein, Lucia und sie. Wenn sie doch bloß ein Junge wäre! Dann könnte sie auch ohne Vater hierbleiben. Bei einem der Kaufherren würde sie Vaters Geschäft erlernen und gar nicht lange, dann könnte sie allein … Mirijams Gedanken kamen ins Stocken. Allein nicht, überlegte sie, aber vielleicht mit Hilfe von Advocat Cohn? Der würde doch sicher auch ihr helfen, wie er jetzt dem Vater zur Seite stand?
    Im Scherz, in dem auch ein bisschen Ernst steckte, hatten Lucia und sie diese Erbteilung längst beschlossen. Lucia interessierte sich nicht für den Handel, sie hingegen schon. Sie hätte sogar Talent dafür, ein gutes Gespür, hatte der Vater kürzlich erst gesagt, als sie eine fehlerhafte Abrechnung gefunden und berichtigt hatte.
    Das Licht fiel durch eine der bunten Fensterscheiben und malte farbige Flecken auf den hellen Boden. Sie konnte kaum den Blick von den verschwimmenden Farben abwenden, während sie mit den Tränen kämpfte. Sie liebte die bunten Fenster hier oben, ebenso die schimmernde Holzvertäfelung und die geschnitzten Türen. Auch den feinen Duft nach Bienenwachs liebte sie, mit dem Muhme Gesa die Treppe einreiben ließ, und den sanften Glanz, wenn danach die Stufen mit einem weichen Tuch poliert worden waren. » Ich will nicht fort«, murmelte sie halblaut. » Hier bin ich doch zu Hause!«
    Spanien war furchtbar weit entfernt von allem, was ihr Leben bisher ausgemacht hatte. Dort lebten die de Molinas, entfernte Verwandte, die keiner von ihnen von Angesicht kannte. Wenn sie nur daran dachte, bekam sie Bauchweh. Lucia sollte mit dem Sohn verheiratet werden, und auch für sie wurde ein Ehemann gesucht. Eines Tages würde sie heiraten, natürlich, vielleicht sogar Cornelisz. Sie spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss, und sprang schnell zum nächsten Gedanken. Jedenfalls würde sie irgendwann in der Zukunft gemeinsam mit ihrem Gemahl das Handelshaus van de Meulen führen und nicht irgendwo in Spanien leben. So klar hatte bis heute ihre Zukunft ausgesehen. Und nun Spanien?
    Wusste Vater denn nicht, dass sie als Jüdin dort nicht in Sicherheit würde leben können? Andererseits, in welchem Land der Erde konnte sie schon Sicherheit für sich erhoffen? Überall wurden Juden höchstens geduldet. Mutter war noch ein Kind gewesen, als ihre Familie Granada verlassen musste. Ihre Flucht vor der Inquisition war eine Geschichte, über die im Haus nicht gesprochen wurde. Nicht aus Gleichgültigkeit, eher weil Mutters Jüdischsein etwas ganz Normales zu sein schien. Vielleicht vergaß Mirijam es ja deshalb oft selbst? Dabei würde sie liebend gern ebenfalls irgendwo dazugehören, sogar zu einer jüdischen Gemeinde, wo doch Vater und Lucia Christen waren! Schon immer hatte sie es als Ungerechtigkeit empfunden, nicht mit zu den festlichen Messen zu Ostern oder Weihnachten in die Kathedrale gehen zu dürfen. Auch aus diesem Grund hatte sie schon ein paar Mal daran gedacht, sich taufen zu lassen. Sie hatte mit Vater darüber gesprochen, der jedoch gar nichts davon hielt.
    » Die Menschen behaupten zwar, dass die Taufe das Wichtigste am Christentum sei, aber leider leben sie nicht danach«, hatte er gesagt. » Konvertierte Juden werden keinen Deut höher geachtet oder besser behandelt als bekennende Juden, vielleicht sogar weniger, jedenfalls ist das hier in Antwerpen so. Du tätest dir keinen Gefallen, mein Kind. Es ist besser, du bleibst bei der Religion deiner Mutter und ihrer Vorfahren. Zu gegebener Zeit werde ich dich zum Rabbi bringen, damit du die herrschenden Regeln und Gebote erlernst.«
    Dazu war es allerdings bis heute nicht gekommen. Wäre sie ein Junge, hätte sich Vater sicher anders verhalten. Einen Sohn würde er nicht wie einen Tuchballen behandeln, den man nach Belieben überallhin verfrachten konnte, selbst über das Meer nach Spanien. Nein, rief sie sich gleich darauf zur Ordnung, das war nicht gerecht. Vater meinte es gut, und er hatte kaum
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