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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still
Autoren: Gerbrand Bakker
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gebracht. Ich habe einen Nachttisch neben Vaters Bett gestellt und die übrigen Sachen in das leere Zimmer neben seinem Schlafzimmer geräumt. Henks Zimmer.
    Die Kühe stehen schon seit zwei Tagen im Stall. Beim Melken herrscht Unruhe.
    Wenn der runde Deckel oben auf dem Milchwagen offengestanden hätte, wäre heute morgen die Hälfte der Milch aus dem Tank gespritzt, wie bei einem Geysir, so scharf hatte der Milchfahrer vor dem aufgerollten Teppichboden gebremst, der immer noch mitten auf dem Hof liegt. Er schimpfte leise vor sich hin, als ich in die Milchkammer kam. Es gibt zwei Milchfahrer, und dies war der ältere, der mürrische. Ich glaube, er ist ungefähr in meinem Alter. Noch ein paar Jahre fahren und dann in Rente.

    Mein neues Schlafzimmer ist bis auf mein Bett völlig leer. Das Holz – die Fußleisten, die Fensterrahmen und die Tür – werde ich auch
     noch streichen. Vielleicht in der gleichen Farbe, in der ich den Boden gestrichen habe, aber so genau weiß ich es noch nicht. Blaugrau schwebt mir vor;
     die Farbe des IJsselmeers an einem Sommertag, wenn in der Ferne graue Gewitterwolken drohen.

    Vor einiger Zeit, Ende Juli oder Anfang August muß es gewesen sein, sind hier zwei Jungen in Kanus durchgefahren. Das kommt nicht oft
     vor, die offiziellen Kanurouten führen nicht an meinem Hof vorbei. Nur wer eine weitere Strecke fahren will, nimmt den Weg hier entlang. Sie hatten die
     Oberkörper entblößt, es war warm, die Muskeln ihrer Arme und Schultern glänzten im Sonnenlicht. Ich stand an der Seite des Wohnhauses, ungesehen, und
     beobachtete, wie sie sich gegenseitig zu rammen versuchten. Ihre Paddel klatschten zwischen den Gelben Teichrosen ins Wasser. Das vordere Kanu legte sich
     quer und blieb mit dem Bug am Ufer hängen. Der Junge schaute zum Hof herüber. »Sieh mal da«, sagte er zu dem anderen, einem rotblonden Jüngling mit
     Sommersprossen und sonnenverbrannten Schultern, »der Bauernhof, der ist zeitlos, der könnte von heute sein, aber genausogut von1967 oder 1930.«
    Der rotblonde Junge sah sich den Hof, die Bäume und das Stück Land, auf dem die Esel standen, genau an. Ich spitzte die Ohren. »Ja«, sagte er nach längerer Zeit, »die Esel, die sind schon altmodisch.«
    Der vordere Junge stieß sein Boot vom Ufer ab und drehte den Bug wieder in Fahrtrichtung. Er sagte irgend etwas zu dem anderen Jungen, das ich nicht verstand, weil gerade ein Rotschenkel zu lärmen anfing. Ein später Rotschenkel, meistens sind sie Ende Juli alle verschwunden. Der Rotblonde folgte langsam und schaute dabei weiter meine beiden Esel an. Ich konnte nicht weg, und es gab an der kahlen Seitenwand des Wohnhauses nichts, womit ich mich hätte beschäftigen können. Ich stand reglos da und hielt den Atem an.
    Er sah mich. Ich dachte, er würde etwas zu dem anderen Jungen sagen, seine Lippen öffneten sich, und er drehte den Kopf. Aber er sagte nichts. Er
     schaute nur und ließ mich stehen, ohne seinen Freund auf mich aufmerksam zu machen. Kurz darauf bogen sie in die Opperwoudervaart ein, und die
     auseinandergetriebenen Gelben Teichrosen schlossen sich wieder zusammen. Ich ging zur Straße, um den Jungen hinterherzuschauen. Nach ein paar Minuten
     konnte ich ihre Stimmen nicht mehr hören. Ich drehte mich um und versuchte meinen Hof mit ihren Augen zu sehen. »1967«, sagte ich leise und schüttelte den Kopf. Warum gerade dieses Jahr? Der eine Junge hatte die Jahreszahl genannt, der andere, der mit den Sommersprossen und den Schultern, hatte alles gesehen. Es war sehr warm an diesem Tag, der Nachmittag war halb vorbei, fast schon Zeit, die Kühe zu holen. Meine Beine fühlten sich auf einmal schweran, und der Rest des Nachmittags war unwirklich und leer.
3
    Eine große Standuhr eine Treppe hinaufzuschleppen ist Knochenarbeit. Ich helfe mir mit langen, glatten Brettern, mit Läufern und mehreren Stücken Schaumgummi. Alles mögliche klingelt und rumpelt im Gehäuse. Das Ticken hatte mich kribbelig gemacht, aber für die Nacht immer die Uhr anzuhalten, war mir zu lästig. Als ich die halbe Treppe geschafft habe, muß ich mich erst ein paar Minuten ausruhen. Vielleicht macht das Tikken ihn da oben auch kribbelig, aber er hat ja immer noch sein Schafgemälde zum Ruhigwerden.
    »Die Uhr?« fragt er, als ich ins Zimmer komme.
    »Ja, die Uhr.« Ich stelle sie gleich hinter die Tür, ziehe die Gewichte hoch und stoße das Pendel an. Augenblicklich füllt sich das Zimmer mit Zeit, mit langsam wegpochender Zeit.
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