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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still
Autoren: Gerbrand Bakker
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gründlich durchlesen. Und dann beantworten. Der zweite Band von Lodewicks Literaturgeschichte lag noch auf der Schreibfläche. Den brauchte ich nicht mehr. Ich bin in Henks Zimmer gegangen und habe das Buch in den Karton zurückgelegt, der noch auf Mutters Frisiertisch stand. Den Karton habe ich wieder sorgfältig mit Klebeband verschlossen und in den Schrank gestellt.Auch gestern abend habe ich alle Türen abgeschlossen, bevor ich mit dem Wagen zur Fähre in Amsterdam gefahren bin. Als ich ankam, wurde es dämmrig. Ich hatte mir überlegt, daß Henk wohl zu Fuß auf die Fähre gegangen sein würde: Wozu braucht man auf der anderen Seite ein Rad, wenn man bloß zum Bahnhof will? Man muß nur noch die Straße überqueren und ist schon da. Ich wollte Vaters Rad wiederhaben. Henk hatte es sicher nicht abgeschlossen (wenn überhaupt noch ein Schloß dran war, das wußte ich nicht genau), denn was fängt man mit einem Fahrradschlüssel an, wenn man das Rad dazu nicht mehr hat? Ich fuhr eine Runde, aber vom Auto aus sahen alle Räder gleich aus. Es waren weniger, als ich erwartet hatte. Danach ging ich zweimal an allen Fahrradständern vorbei. Vaters Rad war nicht da. Hatte Henk es doch auf die Fähre mitgenommen? Nein, wahrscheinlich war es gestohlen worden. Eine Fähre fuhr ab; ich blieb noch eine Weile am Ufer des IJ stehen. Das andere Ufer war weiß von Schiffen, diesen ganz speziellen Schiffen, auf denen alte Leute flußauf, flußab gondeln. Ich fragte mich, warum Riet nicht angerufen hatte. Oder hatte sie angerufen, als ich nicht im Haus war? Jetzt war ich ja auch nicht zu Hause. Ich sah den Flur vor mir und hörte das Telefon klingeln. Ein klingelndes Telefon in einem Haus, in dem niemand ist, der abnehmen kann. Als ich eine Fähre auf mich zukommen sah, fand ich, daß es Zeit für die Rückfahrt wäre.
    Vergangene Nacht das letzte Lamm. Einunddreißig Lämmer auf zwanzig Mutterschafe.

    Endlich habe ich es geschafft, eine Zigarette zu drehen, die halbwegs passabel aussieht. Ich hätte besser zwei Päckchen Papier gekauft. Ich drehe die Zigarettezwischen den Fingern. Die Kühlung geht an, Vater wackelt leicht hin und her. Das hatte man mir nicht gesagt, daß der Verstorbene hin und her wackelt, wenn die Kühlung an- oder ausgeht. Ich sitze auf einem Küchenstuhl neben dem Sarg, ich weiß nicht, wo ich sonst sitzen soll. Die Streichhölzer liegen auf dem Rand des Sargs. Ich zünde die Zigarette an. Du bist ein komischer Vogel, hat er gesagt. Wann war das? Vorgestern? Vor drei Tagen? Alles ist anders, wenn ein Sarg im Wohnzimmer steht. Zum Beispiel frage ich mich, ob es vielleicht ungehörig ist, die Jalousie offenzulassen. Ich kann mich erinnern, daß die Vorhänge wenigstens halb geschlossen waren, als Henk hier lag. Wie es bei Mutter mit den Vorhängen war, weiß ich nicht mehr. Aber soll ich hier etwa bei geschlossener Jalousie sitzen? Morgen ist Sonntag, und Montag ist auch Sonntag. Zwei Feiertage hintereinander. Ostern. Ich inhaliere ganz vorsichtig. Das geht ja. Ich atme durch die Nase aus, zum ersten Mal in meinem Leben kommt Rauch aus meinen Nasenlöchern.

    Jemand kommt zur Waschküche herein. »Aber seid leise«, sagt sie, als sich die Tür zwischen Waschküche und Flur öffnet. Sie kommt ins Zimmer, die Jungen bleiben an der Tür stehen.
    »Was machst du?« fragt sie verblüfft.
    »Was meinst du?«
    »Du rauchst ja!«
    Ich schaue auf die Zigarette in meiner Hand und drücke sie dann im Aschenbecher aus, der auf der Armlehne des Sofas steht. Ich stehe auf.
    Ada sagt nichts mehr. Sie kommt auf mich zu und nimmt mich in die Arme. Ihr Haar riecht angenehm frisch, sie drückt ihre Finger in die Haut auf meinen Schulterblättern. Teun und Ronald schauen mich mitgroßen Augen an. Ich zwinkere ihnen über Adas Schulter zu. Ronald findet das lustig, er fängt an zu lächeln. Teuns Miene bleibt ernst. Ada läßt mich los, und während sie das tut, gibt sie mir einen nassen Kuß auf den Mund. Dann schaut sie in den Sarg.
    »Ich mach mal eine Kanne Kaffee«, sagt sie. Ada ist Ada, trotzdem ist seit dem Tag, an dem sie mir den Teppich gebracht hat und Henk von Teun das Poster mit der Sängerin bekam, deren Namen ich vergessen habe, alles ein klein wenig anders. Sie geht in die Küche. »Wenn ihr wollt, könnt ihr ruhig mal eben schauen«, sagt sie an der Tür zu ihren Söhnen.
    Sehr langsam nähern sich Teun und Ronald dem Sarg. Teun bleibt am Fußende stehen und tut so, als ob er Vater anschaut. Ronald geht noch ein
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