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Nur Ein Toter Mehr

Nur Ein Toter Mehr

Titel: Nur Ein Toter Mehr
Autoren: Ramiro Pinilla
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ihm das Wasser bis zu den Augen reichte. Leonardo war da bereits ertrunken.«
    »Wenn Félix Apraiz aber in den zehn Jahren sein Werk nicht vollendet hat, dann ist die Sache doch eigentlich klar wie Kloßbrühe: Er war’s nicht.« Koldobike hält inne und sieht mich an. »Wenn du dich auf diesen Fall gestürzt hast, weil du dachtest, er sei leicht aufzuklären, dann verkauf lieber weiter Bücher, anstatt welche zu schreiben.«
    »Mein Gott, Koldobike: Ob es ein leichter oder schwerer Fall ist, spielt für mich keine Rolle! Er interessiert mich, weil er
echt
ist. Verstehst du das immer noch nicht?«
    Natürlich versteht sie es: Der spekulative Schlagabtausch zwischen Sam Esparta und ihr beweist es.
    »Ganz schön riskant«, sagt sie nun, während sie mit der Schere eine Paketschnur durchschneidet.
    »Wieso riskant?«
    »Weil der Mörder nicht nach deinem Füller oder deiner Underwood tanzen wird, sondern so, wie’s ihm passt. Und es wird ihm gar nicht gefallen, dass ihn jemand nach zehn Jahren stellen will. Er wird dir irgendwo auflauern. Begreifst du? Er wird dir auflauern und dich beseitigen.«
    »Danke für die Vorwarnung, Puppe. Aber keine Sorge, dir zuliebe schaff ich ihn mir schon rechtzeitig vom Hals. Und …«
    Ich verstumme, um zu sehen, ob sie mich für meinen gelungenen Dialog lobt.
    Aber sie tut nichts dergleichen. Stattdessen hackt sie weiter auf mir herum.
    »Das ist
wirklich
riskant, Sancho! Du setzt
dein
Leben aufs Spiel, nicht das einer Romanfigur.«
    »Aber das Echte, Reale suche ich doch gerade!«
    »Und was, wenn er seine Büchse auf dich richtet?«
    »In Getxo gibt es keine Jagdgewehre mehr, die sind alle, in Wachstuch gewickelt, irgendwo vergraben.«
    In Koldobikes Antwort liegt das Fazit ihrer Gedanken. »Und wenn er in der Zwischenzeit nach Amerika abgehauen ist? Dann hätte dein Roman nicht nur kein Ende, ja es gäbe ihn gar nicht. Ach Gott, wenn es bloß so wäre!«
    »Der Krieg hat nur die rechtschaffenen Menschen ins Exil getrieben. Dieser Schurke lebt nach wie vor mitten unter uns, da bin ich mir ganz sicher.«
    »Du willst also Franco helfen?«
    »Der hat damit doch gar nichts zu tun. Leonardo ist im Juni ’35 ertrunken, das heißt dreizehn Monate vor Kriegsbeginn. Und danach, als die Nationalen im Juni ’37 in Getxo einmarschierten, war der Mord schon längst in Vergessenheit geraten; auf einen Toten mehr, noch dazu einen Basken, kommt es Franco sicher nicht an.«
    »Das heißt, dreizehn Monate lang versuchte ein ganzer Trupp, des Mörders habhaft zu werden: Guardia Civil, Gerichtsdiener, Denunzianten – und du bildest dir nun ein, du könntest ein ganzes Jahrzehnt danach das schaffen, woran damals alle gescheitert sind«, sagt sie kopfschüttelnd, während sie die Lieferscheine kontrolliert.
    »Eben drum: Nur eine Heldentat verdient es, besungen oder in Romanform gebracht zu werden«, erkläre ich feierlich.
    Schweigend sieht Koldobike mich an. Ob sie sich wohl gerade in ihre neue Rolle hineindenkt? Ja, ganz bestimmt, warum sonst zieht sie sich nun ihre Bluse glatt?
    »Bei deinem Fangspiel hat der Mörder gleich von Anfang an einen großen Vorteil: Er weiß, wer ihm auf den Fersen ist.«
    »Und genau deshalb wird der Schurke sich sicher fühlen und irgendwann einen entscheidenden Fehler machen.«
    »Wieso
der
Schurke? Warum keine Frau?«
    Mit gerunzelter Stirn sehe ich sie an. Nein, der Mörder ist ein Mann, so was macht nur ein Mann, das weiß sie doch, schließlich habe ich ihr in den letzten sechs Jahren doch alle meine Krimis zu lesen gegeben.
    »Zudem wird er denken, dass der, der ihn jagt, nur ein weltfremder Buchhändler ist«, versuche ich sie zu beruhigen, »und das wird ihn noch mehr in Sicherheit wiegen.«
    »Ja, wenn’s wenigstens ein Dutzend Buchhändler wären«, murmelt Koldobike.
    Klingt da etwa Sorge durch? »Mein wahrer Trumpf ist aber, dass ich unzählige Krimis und vor allem Chandler und Hammett gelesen habe und er nicht. Ich kenne sämtliche Tricks, wie man einen Verbrecher überführt.« Ich höre, wie Koldobike seufzt, und bleibe vor dem Krimiregal stehen. »Ist heute eigentlich kein neuer Krimi gekommen?«
    »Nein! Und sie sollen auch bloß keine mehr schicken! Krimis interessieren hier keinen Menschen, das sind allesamt Ladenhüter. Und weißt du was?« Koldobikes Stimme kommt näher. »Wenn du dir diese bescheuerte Idee nicht aus dem Kopf schlägst, dann türme ich sie wirklich auf der Straße zu einem Haufen auf und zünde sie an.«
    Jetzt steht sie
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