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Nur Ein Toter Mehr

Nur Ein Toter Mehr

Titel: Nur Ein Toter Mehr
Autoren: Ramiro Pinilla
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Frauen aus bedrohlichen Situationen. Sie entlarven Betrüger, Heuchler und Erpresser und ruhen nicht eher, bis sie die Verbrecher vors Gericht geschleppt haben. Sie sind die letzten Ritter der Menschheit!«
    Kurioserweise muss Koldobike nun husten, sagt dann aber eine Weile lang nichts mehr, bis ich mich wieder etwas beruhigt habe.
    »Ach, Sancho, sie schreiben doch nur über das, was in ihren amerikanischen Städten passiert«, erklärt sie dann nachsichtig. »Die platzen nämlich aus allen Nähten, sodass dort nicht mal mehr eine Ratte Platz findet. Und wenn Menschen so dicht aufeinanderhocken, bringen sie sich gegenseitig um, zwangsläufig. Deine Idole brauchen also nichts weiter zu tun, als sich an die Schreibmaschine zu setzen und aufzuschreiben, was sie tagtäglich sehen: Schießereien, Messerstechereien, im Fluss treibende Leichen, die mit hübschen Krawatten erhängt oder zerstückelt wurden, platinblonde Damen, die wie ein Schlot rauchen, Spione, Spitzel, Auftragskiller … Hammett und Chandler müssen sich keine Bluttaten ausdenken, das musst nur du, so etwas passiert hier in Ge…«
    Das letzte Wort erstirbt ihr auf den Lippen. Denn selbst sechs Jahre nach offiziellem Kriegsende morden Francos Schergen noch immer. Unnötig, Koldobike zu sagen, dass irgendein düsterer Krimi nichts ist im Vergleich zu den düsteren Zeiten, die wir gerade durchmachen. Ihr Vater sitzt im Gefängnis und wartet auf die Vollstreckung der Todesstrafe. Meiner wurde ’39 erschossen. Und ich selbst habe esnur meinem Hinkefuß zu verdanken, dass mir nicht dasselbe Schicksal widerfuhr. Von Geburt an ist mein linkes Bein nämlich kürzer als das rechte, wenn auch nur um ein paar Zentimeter, die ich stets verfluche, wenn ich den Bus noch erreichen will.
    »Komm, geh was essen«, sage ich voller Mitgefühl zu ihr.
    Mit ihrer beherzten Art überspielt Koldobike jedoch ihre Niedergeschlagenheit und weist meinen Vorschlag mit einem »Ach was, ich hol uns beiden nachher was auf die Hand!« zurück, um mich gleich darauf so erwartungsvoll anzusehen, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als ihr endlich die Wahrheit zu gestehen.
    »Ich habe das Handtuch geschmissen …«
    »Deine geistige Gesundheit wird es dir danken.«
    »… aber dafür ein anderes aufgehoben. Ein anderes Handtuch, meine ich.«
    Argwöhnisch kneift sie die Augen zusammen. Ich stehe auf und trete neben sie an das Regal mit meinen Krimis. Sanft streiche ich über die Buchrücken.
    »Du hast eben gesagt, dass meine Idole nur aufgeschrieben haben, was sie um sich herum gesehen haben. Und genau
das
werde ich jetzt auch tun!«, erkläre ich und deute schulmeisterlich mit dem Finger auf sie. »Nimm dich also in Acht, Puppe, denn ich schreibe von nun an über alles, was ich direkt vor Augen habe. Also auch über dich. Und darum erwarte ich von dir, dass du dich genauso verhältst wie die Figur, die ich dir zugedacht habe.«
    Sie versteht natürlich kein Wort. Zu ihrem Glück kann sie sich wenigstens an etwas festhalten.
    »Was soll denn auf einmal dieses ›Puppe‹?«, fragt sie irritiert.
    »Du hast doch auch Hammett & Co. gelesen: Sie verwenden es in einem fort. Und jetzt hör mir zu …«
    Und dann erzähle ich ihr haarklein, wie mir beim Anblick des Felsens der
cold case
wieder in den Sinn gekommen ist. Je mehr ich erzähle, desto leichter sprudeln mir die Worte über die Lippen, und am Ende habe ich sogar das Gefühl, meine Erzählung mit einem Cliffhanger abgeschlossen zu haben.
    »Ah, ja, die Altube-Zwillinge …«, murmelt Koldobike gleichgültig. »Ich war damals gerade mal vierzehn, glaube ich. An viel kann ich mich allerdings nicht mehr erinnern.«
    »Es ist eine gute Geschichte.«
    »Und wen interessiert das heute noch?«
    Kurz bin ich verunsichert. »Aber es ist und bleibt eine gute Geschichte, oder etwa nicht? Selbst wenn ich sie jetzt vielleicht schlecht erzählt habe.«
    Sie lässt sich davon allerdings nicht beeindrucken.
    »Verstehe ich dich recht: Du willst über einen ungeklärten Fall schreiben?«
    »So ist es: Die Geschichte ist nämlich noch nicht zu Ende, sie hat erst einen Anfang.«
    »Und du willst …?«
    »Meine Underwood besitzt rechts unten eine Taste mit einem wunderhübschen Schlusspunkt drauf.«
    »Du willst also einen realen, aber noch ungeklärten Fall weiterschreiben. Schon vergessen, dass du kein Vorstellungsvermögen hast?!«
    Noch zögert sie, mit mir Neuland zu betreten. Also packe ich sie am Arm und nötige sie, sich an meinen kleinen
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