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Nur Blau - Roman

Nur Blau - Roman

Titel: Nur Blau - Roman
Autoren: Bernhard Aichner
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dir hier so gut, dass du jetzt auch morgens kommst.
    Er wusste, dass sie nicht lachen würde, dass es sinnlos war. Anna schaute ihn verwundert an. Er kam mitten in ihre Gedanken hinein.
    Was kann ich für dich tun, fragte sie.
    Er setzte sich. Kurz nur, sagte er. Mir ist etwas sehr Seltsames passiert, und ich denke, du solltest es wissen.
    Anna knetete immer noch den Schlüssel, sie wollte nicht mit ihm reden, er war sympathisch, aber sie wollte jetzt nicht mit ihm reden. Sie würde nach Hause gehen und ihre Bilder abnehmen, sie würde sie bald unten ausbreiten, sie würde ihnen ein neues Zuhause geben.
    Vielleicht heute noch, vor der Arbeit. Sie könnte zwei Stunden früher im Haus sein, vielleicht auch vier.
    Sie wollte zurück in diesen Raum, sie konnte es schwer erwarten. Sie dachte an alles, was sie gesehen hatte, an Mosca, an die blauen Bilder. Sie hörte nur halbherzig zu. Der Oberkellner nahm ihren Arm.
    Er merkte, dass sie nicht bei ihm war.
    Anna, hör mir bitte zu.
    Seine Finger legten sich um den zarten Arm, zerrten leicht an ihm. Anna zuckte zusammen. Sie riss ihren Arm nach oben, schleuderte die Hand von sich weg. Was soll das, schrie sie.
    Ihre Stimme flog kurz durch den Raum, Blicke kamen an ihren Tisch. Einen Moment lang. Dann schwieg sie wieder. Sie setzte sich aufrecht und schaute sich um. Verzeih, sagte sie.
    Ich wollte dich nicht erschrecken, sagte er. Ich wollte, dass du mir zuhörst, ich muss dir etwas sagen, ich denke, es ist wichtig für dich.
    Der Oberkellner war peinlich berührt. Er mochte die Blicke der Gäste nicht auf sich. Er bereute es, dass er sich gesetzt hatte, aber er wollte loswerden, was er wusste.
    Verzeih, sagte sie noch einmal, ich war in Gedanken, ich bin erschrocken, ich bin noch müde.
    Sie schaute ihn an. Sie war jetzt bei ihm. Hör zu, Anna. Im zweiunddreißigsten Stock gibt es einen Literaturkritiker, er bestellt täglich Frühstück bei mir, ich denke, du kennst ihn.
    Er machte eine kleine Pause.
    Ich wusste nicht, dass er Literaturkritiker ist, sagte Anna.
    Sie war jetzt hellwach.
    Er hat mich nach deinem Namen gefragt, ich habe ihm das Frühstück serviert. Er ist im Anzug dagestanden und hat mich nach dir gefragt. Ein außerordentlich schöner Anzug. Ich habe mich gewundert, wo er am Morgen hinwill, so fein. Er fragte mich, wie du heißt, er ließ sich den Namen buchstabieren. Dann schrieb er ein paar Zeilen.
    Warten Sie, hat er gesagt, als wir gehen wollten.
    Wir bringen das Frühstück immer zu zweit. Er schätzt erstklassigen Service. Wir sind neben ihm ge­standen und haben gewartet, bis er fertig war. Mit Füllfeder auf ein weißes Blatt hat er geschrieben, fünf Sätze.
    Ich möchte, dass Sie das bezeugen, sagte er, ich bitte Sie darum, hat er noch dazugesagt.
    Er gab mir das Blatt in die Hand und ich las es. Es ging um seine Wohnung. Wo sie ist, welche Nummer im Grundbuch, und dass er sie nach seinem Tod vererbt. Dir, Anna. Dein Name stand auf dem Zettel. Und er wusste nicht einmal, wie du heißt.
    Hast du gehört, Anna.
    Er hat sein Testament gemacht. Wir haben unterschrieben.
    Hörst du, Anna.
    Du bist die Erbin, Anna.
    Wieder griff er nach ihrem Arm, weil sie nichts sagte. Diesmal wehrte sie sich nicht.
    Er hat mir Trinkgeld gegeben, Anna, viel Trinkgeld, dann hat er uns verabschiedet. Verstehst du mich. Was sagst du dazu. Anna, sprich mit mir, bitte.
    Er drückte ihren Arm, strich mit der Hand über ihre Schultern, aber sie hörte ihn nicht mehr. Sie sah ihn vor sich. Mosca, wie er vor der Fotografie stand, als sie ging.
    Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, hat er gesagt.
    In seinem Gesicht ist ein Lächeln gewesen. Dann hat er ihr die Hand gegeben.
    Dann sprang sie auf. Plötzlich.
    Sie riss die Teetasse nach unten. Wieder kamen die Blicke an ihren Tisch, wieder flog die Hand des Oberkellners durch die Luft.
    Das war vor fünf Minuten.
    Anna, wo willst du hin.
    Sie ist in die Höhe geschossen, auf die Bank gestiegen und über ihn gesprungen. Er schämte sich vor den Gästen, der Tee kam über die Polsterung auf den Boden. Der Kellner versuchte, die Tasse festzuhalten. Sie fiel hinunter. Anna rannte.
    Aus dem Restaurant zum Lift, hinaus auf den Gang, sie drückte den Knopf. Der Aufzug war weit unten. Es dauerte zu lange. Sie riss die Tür zum Treppenhaus auf und rannte. Neun Stockwerke. Unten hörte sie Stimmen. Und dann Schritte, wie jemand begann zu rennen. Genau wie sie. Sechs Stockwerke. Sie sah den Mann auf der Fotografie vor sich, wie er die
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