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NOVA Science Fiction Magazin 20

NOVA Science Fiction Magazin 20

Titel: NOVA Science Fiction Magazin 20
Autoren: Olaf G. Hilscher
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hinter uns, erkenne Silhouetten im Gang. Aber Justine ist jetzt
nur noch eine von vielen Betrunkenen im Arm eines Mannes. Niemand wird Anstoß
an einem Typen nehmen, der eine günstige Gelegenheit ausnutzt. Sie alle würden
das tun.
    Beenden
kann ich es hier oben nicht. Das Neurotoxin schaltet die motorische Kontrolle
über den  Körper fast vollständig aus. Der Typ, von dem ich das Zeug kaufe,
nennt es Voodoo-Tee. Ich kann mich gut an sein zahnloses, gehässiges Grinsen
und seinen widerlich süßen Atem erinnern und wie er mir erklärt hat: „Das Gute
daran ist, dass sie die Zunge noch bewegen können.“ Dabei hat er sich den
Hintern gekratzt. „Noch genug bewegen, wenn du verstehst, was ich meine.“
    Es
wirkt sehr schnell, seine Wirkung lässt aber ebenso rasch nach. Das ist
wichtig. Solange sie sediert ist, kann ich nicht arbeiten.
    Justine
ist so zierlich und leicht, dass ich sie problemlos mit mir ziehen kann und wir
dabei aussehen wie ein angeschlagenes Pärchen. Ich muss nicht mal den Koffer
absetzen, um sie die Treppe hinunter zu bringen. Ihre Absätze erzeugen auf den
Stufen ein kreischendes Geräusch, aber niemand reagiert darauf.
    Der
Korridor unten liegt fast völlig im Dunkeln. Die Glühbirne  soll wahrscheinlich
nur verhindern, dass jemand hier hinunter stürzt. 
    Ich
kann zwei Türen auf der linken Seite ausmachen, stoße die erste auf und finde
mich vor einer Reihe weiterer Türen wieder. Toiletten. Und sie haben Schlösser.
    „Wwwww
…“ Mehr als Lautfetzen bringt Justine nicht hervor. Das Neurotoxin unterdrückt
30.000 Jahre Sprachevolution auf dem Kortex.
    Ich
entscheide mich für die Zelle am Ende des Ganges. Drücke Justine mit meinem
eigenen Gewicht auf die Knie, so dass ihr Oberkörper auf den Toilettensitz
gepresst wird. Es gibt nichts, was sie dagegen tun könnte. Sie gehört mir.
    Meinen
Operationssaal herzurichten dauert nur wenige Minuten. Ich löse die Folie von
den Lichtstreifen auf der Rückseite der LEDs, hafte sie an den Klebeflächen an
die Seitenwände und die Tür. Sie baden die Zelle in gleißendem weißem Licht.
Mein eigener Schatten führt ein hektisches Scherenschnitttheater auf der
Rückwand auf, während ich die Instrumente aus dem Koffer zu meiner Linken
nehme. Ich kann damit überall operieren. In Hotelzimmern, auf Toiletten, in der
Kabine eines Sarghotels, auf dem Rücksitz eines Autos, im Frachtraum eines
Flugzeugs.
    „WASsssssshhhhh
…“ Justine hat den Kopf gedreht, gafft mit vor Entsetzen geweiteten Augen auf
das Arsenal meiner Instrumente. Ampullen, aufgezogene Injektionen, einige
Skalpelle, sogar ein Bohrer, eine Knochensäge. Hilfsmittel, die ich
gelegentlich benötige.
    „MEIMMMM.“
Es soll ein „Nein“ werden, aber damit ist die versagende Muskulatur ihrer Zunge
völlig überfordert. Mit aller Kraft versucht sie sich aufzurichten. Vergeblich.
Dazu bin ich viel zu schwer und zu kräftig.
    Die
Injektionen habe ich schon vor Stunden vorbereitet. Die kleinere enthält
Natriumlaurylsulfat und einige Beimischungen. Der Cocktail wird die Durchlässigkeit
der Blut-Hirn-Schranke erhöhen. Die zweite Spritze ist etwas größer. Man könnte
ihren Inhalt für eine gewöhnliche Kochsalzlösung halten. Eine chemische
Untersuchung mit einfachen Mitteln würde auch genau  zu diesem Ergebnis
gelangen. Tatsächlich beinhaltet sie etwas ganz anderes.
    Zunächst
setze ich die kleine Injektion an ihre Karotis. Ihr Körper verkrampft sich, als
die Nadel in ihre Halsschlagader eindringt und ich den Kolben herunter drücke.
Ihr Wimmern ist draußen vor der Tür nicht von einem lustvollen Seufzer zu
unterscheiden. Niemand wird uns stören. Schließlich kommt man genau aus diesem
Grund an einen Ort wie diesen.
    „Warum…
Sie das?“ Es gelingt ihr beinahe schon wieder, sich zu artikulieren. Gut, das
Neurotoxin verliert seine Wirkung und das genau zum richtigen Zeitpunkt.
Vielleicht noch ein oder zwei Minuten. Sie muss wach sein.
    Mein
Mund ist dicht neben ihrem Ohr. „Justine wird heute Nacht sterben, und wir
wissen beide, dass es besser so ist, nicht wahr?“
    „Wer
sind Sie?“ Ein fehlerfreier Satz, klar artikuliert. Bei ihr geht es schneller
als bei vielen anderen. Das Adrenalin, das ihr Gehirn in Panik ausschüttet,
beschleunigt den Abbau des Neurotoxins noch.
    „Es
wird dich erstaunen.“, antworte ich, „Aber diese Frage stelle ich mir selbst
jeden Tag aufs Neue.“
    „Nicht“,
jammert sie. „Hören Sie auf, ich…“
    Sie
stößt einen unterdrückten
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