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Extrem laut und unglaublich nah

Extrem laut und unglaublich nah

Titel: Extrem laut und unglaublich nah
Autoren: Jonathan Safran Foer
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WAS ZUM?
    Wie wäre es mit einem Teekessel? Wie wäre es, wenn die Tül le beim Austreten des Wasserdampfs wie ein Mund auf- und zuklappte und hübsche Melodien pfiffe, Shakespeare aufsagte oder einfach mit mir ablachte? Ich könnte auch einen Tee kessel erfinden, der mir zum Einschlafen mit Dads Stimme et was vorliest, vielleicht auch einen ganzen Haufen Kessel, die im Chor den Refrain von »Yellow Submarine« singen, einen Song der Beatles, die ich wahnsinnig gern mag, denn die En tomologie ist eine meiner raisons d’être , und das ist eine franzö sische Redewendung, die ich gelernt habe. Eine super Idee wäre auch, meinem Hintern beizubringen, beim Furzen zu sprechen. Ganz besonders komisch wäre es, ihm beizubringen, dass er jedes Mal »Das war ich nicht!« sagt, wenn ich einen un glaublich fiesen Furz loslasse. Und wenn ich je einen unglaub lich fiesen Furz im Spiegelsaal loslassen sollte, der in Versailles ist, das bei Paris ist, das in Frankreich ist, versteht sich von selbst, würde mein Hintern sagen: » Ce n’était pas moi! «
    Oder kleine Mikrophone etwa. Wie wäre es, wenn jeder eins schlucken würde und wenn sie über kleine Lautsprecher, die in den Taschen unserer Overalls steckten, unseren Herzschlag übertragen würden? Wenn man dann nachts mit dem Skateboard durch die Straßen fährt, könnte man den Herzschlag aller anderen Menschen hören, und sie könnten unseren hören, ähnlich wie mit einem Echolot. Ich frage mich al lerdings, ob dann alle Herzen gleichzeitig zu schlagen begännen, denn Frauen, die zusammenleben, bekommen ja auch zur gleichen Zeit die Regel, darüber weiß ich Bescheid, obwohl ich es lieber nicht wüsste. Das wäre wirklich krass, nur die Station im Krankenhaus, wo die Babys auf die Welt kommen, die klänge wie ein Kronleuchter auf einem Hausboot, weil die Babys noch keine Zeit hatten, ihren Herzschlag aufeinander abzustimmen. Und beim Zieleinlauf des New York City Marathon wäre ein Krach wie im Krieg.
    Außerdem gibt es ziemlich viele Situationen, in denen man sofort die Flucht ergreifen muss, aber Menschen haben keine Flügel, jedenfalls noch nicht, wie wäre es also mit einem Vo gelfutter-Hemd?
    Wie auch immer.
    Vor dreieinhalb Monaten hatte ich meine erste Ju-Jutsu-Stunde. Aus nahe liegenden Gründen war ich sehr an Selbst verteidigung interessiert, und Mom war der Meinung, dass mir eine weitere körperliche Betätigung außer Tamburin-Spielen gut täte, also hatte ich vor dreieinhalb Monaten meine erste Ju-Jutsu-Stunde. Wir waren vierzehn Kinder im Kurs, und wir trugen alle blütenweiße Gewänder. Wir übten die Verbeugung, und dann setzten wir uns hin, indianermäßig, und Sensei Mark bat mich, zu ihm zu kommen. »Tritt mir in die Eier«, sagte er zu mir. Das ließ mich aufhorchen. » Excusezmoi ?«, sagte ich. Er spreizte die Beine und sagte zu mir: »Ich möchte, dass du mir mit voller Wucht in die Eier trittst.« Er legte sich die Hände auf die Hüften, holte Luft und schloss die Augen, und ich kapierte, dass es ihm Ernst war. »Hammer hart«, sagte ich, dachte aber: Was zum ? Er sagte zu mir: »Na los, Junge. Zertritt mir die Eier.« »Ihnen die Eier zertreten?« Er lachte laut auf, die Augen immer noch geschlossen, und sagte: »Selbst wenn du wolltest, könntest du mir die Eier nicht zertreten. Ich will dir nur zeigen, dass ein durchtrainierter Körper jeden Schlag wegstecken kann. Und jetzt tritt mir in die Eier.« Ich erwiderte: »Ich bin Pazifist«, und da die meisten Kinder in meinem Alter noch nicht wissen, was das ist, drehte ich mich um und erklärte es den anderen: »Ich finde es falsch, jemand anderem die Eier zu zertreten, ganz grundsätzlich.« Sensei Mark sagte: »Darf ich dich etwas fragen?« Ich drehte mich wieder zu ihm um und sagte: »›Darf ich dich etwas fragen?‹ ist doch schon eine Frage.« Er sagte: »Träumst du davon, ein Ju-Jutsu-Meister zu werden?« »Nein«, erwiderte ich, obwohl ich eigentlich auch nicht mehr davon träume, später den Juwelierladen unserer Familie zu übernehmen. Er sagte: »Möchtest du wissen, wie ein Ju-Jutsu-Schüler zum Ju-Jutsu-Meister wird?« »Ich will alles wissen«, sagte ich zu ihm, aber auch das stimmte nicht mehr. Er sagte zu mir: »Ein Ju-Jutsu-Schüler wird zum Ju-Jutsu-Meister, indem er seinem Meister die Eier zertritt.« Ich erwiderte: »Wirklich faszinierend.« Vor dreieinhalb Monaten hatte ich meine letzte Ju-Jutsu-Stunde.
    Ich hätte jetzt so gern mein Tamburin dabei, weil ich trotz
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