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Extrem laut und unglaublich nah

Extrem laut und unglaublich nah

Titel: Extrem laut und unglaublich nah
Autoren: Jonathan Safran Foer
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dem Klingeln abgenommen.« »Alles in Ordnung?« »Ich brau che ein Laminiergerät.« »Ein Lamiergerät?« »Ich habe hier was unglaublich Tolles, das ich unbedingt in Folie einschweißen muss.«
    Dad deckte mich immer richtig gut zu, und dann erzählte er mir die tollsten Geschichten und wir lasen gemeinsam die New York Times , und manchmal pfiff er auch »I Am the Walrus«, denn das war sein Lieblingssong, obwohl er mir nie die genaue Bedeutung erklären konnte, was mich ziemlich frustrierte. Su per war auch, dass wir in jedem Artikel, den wir lasen, irgend einen Fehler fanden. Manchmal waren es Fehler in der Gram matik, manchmal stimmte ein Detail nicht, zum Beispiel eine geographische Angabe, und manchmal erzählte der Artikel einfach nicht die ganze Geschichte. Ich fand es Klasse, einen Dad zu haben, der schlauer als die New York Times war, und ich fand es Klasse, dass ich durch sein T-Shirt die Haare auf seiner Brust an der Wange spüren konnte und dass er selbst am Ende des Tages immer noch nach Rasieren roch. Bei ihm kam mein Kopf zur Ruhe. Ich brauchte mir nichts mehr auszudenken.
    Als Dad mich an dem Abend richtig gut zudeckte, am Abend vor dem allerschlimmsten Tag, fragte ich ihn, ob die Erde eine Scheibe sei, die auf einer riesigen Schildkröte ruhe. »Wie bitte?« »Ich frage mich ja nur, warum die Erde nicht durch das All fällt, sondern bleibt, wo sie ist.« »Ist das wirklich mein Oskar, den ich hier zudecke? Haben ihm irgendwelche Außerirdischen zu Forschungszwecken das Gehirn geklaut?« Ich sagte: »Wir glauben doch nicht an die Existenz von Außer irdischen.« Er sagte: »Die Erde fällt durch das All. Das weißt du doch, Kumpel. Sie fällt die ganze Zeit in Richtung Sonne. Ge nau das meint man, wenn man sagt, dass sie sich um die Sonne dreht.« Also sagte ich: »Versteht sich von selbst, aber warum gibt es die Schwerkraft?« Er sagte: »Du fragst mich, warum es die Schwerkraft gibt?« »Ja, aus welchem Grund?« »Wer hat be hauptet, dass es dafür einen Grund geben muss?« »Niemand. Eigentlich.« »Meine Frage war nur rhetorisch.« »Und was heißt das?« »Das heißt, dass ich keine Antwort erwartet habe, sondern nur etwas betonen wollte.« »Was betonen?« »Dass es keinen Grund geben muss.« »Aber wenn es keinen Grund gibt, warum gibt es das Universum dann überhaupt?« »Wegen günstiger Entstehungsbedingungen.« »Und warum bin ich dann dein Sohn?« »Weil Mom und ich miteinander geschla fen haben und weil eines meiner Spermen eines ihrer Eier befruchtet hat.« »Entschuldigung, aber mir wird übel.« »Tu nicht so kindisch.« »Naja, ich kapiere einfach nicht, warum wir existieren. Nicht wie, sondern warum.« Ich sah den Glüh würmchen seiner Gedanken zu, die in seinem Kopf auf ihrer Umlaufbahn kreisten. Er sagte: »Wir existieren, weil wir exis tieren.« » Was zum ?« »Man kann sich alle möglichen Universen vorstellen, aber entstanden ist nun einmal dieses.«
    Ich wusste, was er meinte, und ich widersprach ihm nicht, stimmte ihm aber auch nicht zu. Atheist zu sein heißt ja nicht, dass man nicht gern einen guten Grund dafür hätte, dass man existiert.
    Ich stellte meinen Weltempfänger an, und mit Dads Hilfe bekam ich jemanden herein, der Griechisch sprach, und das war prima. Wir verstanden ihn zwar nicht, aber wir lagen da, betrachteten die im Dunkeln leuchtenden Sterne, die unter meiner Zimmerdecke klebten, und hörten eine Weile zu.»Dein Großvater konnte Griechisch«, sagte Dad. »Du meinst wohl, er kann Griechisch«, sagte ich. »Stimmt. Nur, dass er es hier nicht spricht.« »Vielleicht ist das ja seine Stimme im Radio.« Die erste Seite der Zeitung war wie eine Decke über uns gebrei tet. Hinten zeigte sie das Foto eines Tennisspielers, und obwohl man nicht eindeutig sagen konnte, ob er fröhlich oder traurig war, wirkte er wie der Sieger.
    »Dad?« »Ja?« »Erzählst du mir eine Geschichte?« »Gern.« »Eine gute?« »Im Gegensatz zu all den langweiligen, die ich dir sonst erzähle?« »Genau.« Ich schmiegte mich ganz, ganz dicht an ihn, so dicht, dass sich meine Nase in seine Achselhöhle bohrte. »Und du unterbrichst mich auch nicht?« »Ich gebe mir Mühe.« »Denn sonst kann man keine Geschichte erzählen.« »Und außerdem nervt es.« »Außerdem nervt es.«
    Am liebsten mochte ich den Moment, bevor er anfing.
    »Es gab einmal eine Zeit, da hatte New York einen sechsten Bezirk.« »Was ist ein Bezirk?« »Das meine ich mit Unterbre chung.« »Ja, klar, aber wenn
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