Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Extrem laut und unglaublich nah

Extrem laut und unglaublich nah

Titel: Extrem laut und unglaublich nah
Autoren: Jonathan Safran Foer
Vom Netzwerk:
»Und was?« Ich sagte: »Bekomme ich denn keine Hin weise?« Er sagte: »Wo steht geschrieben, dass man immer Hin weise bekommen muss?« »Es gibt immer Hinweise.« »Für sich genommen, besagen Hinweise gar nichts.« »Gar keine Hinwei se?« Er sagte: »Außer, dass fehlende Hinweise auch schon ein Hinweis sein könnten.« »Kein Hinweis soll ein Hinweis sein?« Er zuckte mit den Schultern, als hätte er keine Ahnung, was ich meinte. Das fand ich super.
    Ich rannte den ganzen Tag im Park herum und suchte nach Hinweisen, aber die Schwierigkeit bestand natürlich darin, dass ich überhaupt nicht wusste, wonach ich suchen sollte. Ich sprach mehrere Menschen an und fragte sie, ob sie wichtige Informationen für mich hätten, denn manchmal plante Dad die Aufklärungs-Expeditionen so, dass ich mit Leuten reden muss te. Aber keiner, den ich fragte, sagte mehr als Was zum ? Ich suchte rund um das Reservoir nach Hinweisen. Ich las jeden Anschlag an jedem Laternenpfahl und jedem Baum. Ich las die Beschreibungen der Tiere im Zoo. Ich brachte die Leute, die Drachen steigen ließen, sogar dazu, ihre Drachen einzuholen, damit ich sie untersuchen konnte, obwohl ich wusste, dass es eigentlich Quatsch war. Aber Dad war manchmal ziemlich ge rissen. Ich fand nichts, und das war natürlich schlecht, außer, das Nichts wäre ein Hinweis. War das Nichts ein Hinweis?
    An dem Abend bestellten wir uns General Tsos Tofu zum Essen, und mir fiel auf, dass Dad eine Gabel benutzte, obwohl er supergut mit Stäbchen umgehen konnte. »Halt mal!«, sagte ich und stand auf. Ich zeigte auf seine Gabel. »Ist die Gabel ein Hinweis?« Er zuckte mit den Schultern, und ich glaubte in dieser Geste eine Bestätigung dafür zu erkennen, dass es sich um einen zentralen Hinweis handelte. Ich dachte: Gabel, Gabel . Ich rannte in mein Labor und holte den Metalldetektor aus der Kiste im Schrank. Weil ich abends nicht allein in den Park durfte, kam Oma mit. Ich begann am Eingang in der 86. Stra ße, und um ja nichts auszulassen, ging ich in schnurgeraden Li nien wie diese Mexikaner, die immer den Rasen mähen. Ich wusste, dass die Insekten lärmten, denn es war Sommer, aber ich hörte sie nicht, weil ich Kopfhörer trug. Es gab nur mich und das Metall im Boden.
    Wenn das Piepen hektischer wurde, musste Oma die Taschenlampe auf die Stelle richten. Ich zog meine weißen Handschuhe an, holte die kleine Schaufel aus dem Beutel und grub supervorsichtig. Wenn ich etwas fand, entfernte ich die Erde wie ein richtiger Archäologe mit einem Pinsel. Obwohl ich an dem Abend nur einen kleinen Teil des Parks absuchte, förderte ich einen Vierteldollar und einige Heftklammern zu Tage, außerdem ein Kettchen, mit dem man eine Lampe an- und ausknipst, und einen Kühlschrank-Magneten mit Werbung für Sushi, über das ich Bescheid weiß, obwohl ich lieber nichts davon wüsste. Ich tat alle Beweisstücke in eine Tüte und markierte die Fundstellen auf der Karte.
    Zu Hause untersuchte ich die Beweisstücke der Reihe nach in meinem Labor unter dem Mikroskop: ein krummer Löffel, ein paar Schrauben, eine rostige Schere, ein Spielzeugauto, ein Stift, eine Fahrradkette, ein Schlüsselanhänger, die kaputte Bril le eines Menschen, der unglaublich schlechte Augen gehabt haben musste …
    Ich brachte alles Dad, der am Küchentisch die New York Times las und dabei die Druckfehler mit seinem Rotstift anstrich. »Hier, das habe ich gefunden«, sagte ich und schubste meine Katze mit dem Tablett voller Beweisstücke vom Tisch. Dad warf einen Blick auf die Sachen und nickte. Ich fragte: »Und?« Er zuckte mit den Schultern, als hätte er keine Ahnung, was ich meinte, und er vertiefte sich wieder in seine Zeitung. »Kannst du mir nicht mal verraten, ob ich auf der richtigen Fährte bin?« Buckminster schnurrte, und Dad zuckte mit den Schultern. »Wie soll ich das wissen, wenn du mir nichts ver rätst?« Dad umkringelte etwas in einem Artikel und sagte: »Das kannst du auch anders sehen: Warum solltest du auf der fal schen Fährte sein?«
    Er ging sich ein Glas Wasser holen, und ich sah nach, was er umkringelt hatte, denn er konnte ziemlich gerissen sein. In dem Artikel ging es um das vermisste Mädchen und die weit verbreitete Meinung, dass sie vom Kongressabgeordneten er mordet worden war, der sie gepoppt hatte. Ein paar Monate später wurde ihre Leiche im Rock Creek Park, Washington D.C., entdeckt, aber zu dem Zeitpunkt interessierte sich außer ihren Eltern schon niemand mehr für sie.

    Das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher