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Extrem laut und unglaublich nah

Extrem laut und unglaublich nah

Titel: Extrem laut und unglaublich nah
Autoren: Jonathan Safran Foer
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war kein Fehler! Das war eine Botschaft für mich!
    An den nächsten drei Tagen ging ich jeden Abend wieder in den Park. Ich grub eine Haarspange und eine Rolle Pennys aus, eine Reißzwecke und einen Kleiderbügel, eine 9-Volt-Batterie und ein Schweizer Taschenmesser, einen winzigen Bilderrahmen und die Plakette eines Hundes namens Turbo, einen quadratischen Fetzen Alufolie und einen Ring, eine Ra sierklinge und eine superalte Taschenuhr, die entweder um
    5:37 Uhr morgens oder abends stehen geblieben war. Je mehr ich fand, desto weniger kapierte ich.
    Ich breitete die Karte auf dem Esszimmertisch aus und be schwerte die Ecken mit 8-Volt-Batterien. Die Punkte, mit de nen ich die Fundstellen markiert hatte, glichen Sternen am Himmel. Ich verband sie miteinander wie ein Astrologe, und wenn ich meine Augen zu Schlitzen zusammenkniff wie ein Chinese, schienen sich die Linien zum Wort »fragil« zu verbinden. Zerbrechlich. Was war fragil? War der Central Park fragil? War die Natur fragil? Waren meine Fundstücke fragil? Eine Reißzwecke ist nicht fragil. Ist ein krummer Löffel fragil? Ich radierte die Linien aus und verband die Punkte neu, und es er gab sich das Wort »Tür«. Daraufhin fiel mir porte ein, Franzö sisch für Tür, versteht sich von selbst. Ich radierte die Linien noch einmal aus und verband die Punkte zu » porte «. Auf ein mal wurde mir klar, dass ich die Punkte zu Wörtern wie »Cy borg«, »Schnabeltier«, »Bockmist« und, eine extreme Schlitz äugigkeit vorausgesetzt, sogar zu »Oskar« verbinden konnte. Ich konnte sie zu allen möglichen Wörtern verbinden, und das hieß, dass die Sache sinnlos war. Und nun werde ich nie mehr erfahren, was ich eigentlich finden sollte. Und das ist noch ein Grund, warum ich nachts nicht einschlafen kann.
    Wie auch immer.
    Fernsehen ist mir zwar verboten, aber ich darf mir Do kumentarfilme ausleihen, die für mein Alter freigegeben sind, und lesen darf ich sowieso alles. Mein Lieblingsbuch ist Eine kurze Geschichte der Zeit , das ich allerdings noch nicht durch habe, weil die Berechnungen darin unglaublich schwierig sind und Mom mir dabei keine große Hilfe ist. Am besten gefällt mir das erste Kapitel, in dem Stephen Hawking von einem berühmten Wissenschaftler erzählt, der einen Vortrag darüber hält, wie die Erde um die Sonne kreist und die Sonne im Son nensystem und so weiter. Schließlich meldet sich eine ganz hinten sitzende Frau und sagt: »Was Sie da erzählen, ist doch völliger Unsinn. In Wahrheit ist die Erde eine Scheibe, die auf dem Rücken einer riesigen Schildkröte ruht.« Daraufhin fragt sie der Wissenschaftler, worauf die Schildkröte ruhe. Und sie antwortet: »Aber es sind doch alles Schildkröten, bis ganz unten.«
    Diese Geschichte finde ich super, weil sie zeigt, wie dumm die Menschen manchmal sein können. Und auch, weil ich Schildkröten so gern mag.
    Ein paar Wochen nach dem allerschlimmsten Tag fing ich an, lauter Briefe zu schreiben. Warum, weiß ich auch nicht, aber es war eine Sache, die meine Bleifüße leichter machte. Krass war nur, dass ich keine normalen Briefmarken benutzte, sondern welche aus meiner Sammlung, auch wertvolle, und manchmal fragte ich mich insgeheim, ob ich in Wahrheit nicht bloß Ballast abwerfen wollte. Den ersten Brief schrieb ich an Stephen Hawking. Ich frankierte ihn mit einer Brief marke, die Alexander Graham Bell zeigte.
    Lieber Stephen Hawking,
    darf ich bitte Ihr Protegé sein?
    Dankeschön,
    Oskar Schell
    Ich erwartete natürlich keine Antwort, klaro, weil er ein so außergewöhnlicher Mensch ist und ich so normal bin. Aber dann kam ich eines Tages aus der Schule, und Stan gab mir ei nen Brief und sagte mit der AOL – Stimme, die ich ihm beige bracht hatte: »Du hast Post!« Ich rannte die hundertfünf Stufen zu unserer Wohnung hinauf, und ich rannte in mein Labor, und ich ging in die Kammer, knipste meine Taschenlampe an und öffnete den Umschlag. Der Brief darin war getippt, versteht sich von selbst, denn Stephen Hawking kann seine Hän de ja nicht mehr benutzen, weil er amyotrophische Lateralsklerose hat, über die ich Bescheid weiß, leider.
     
    Vielen Dank für Ihren Brief. Da ich sehr
    viel Post bekomme, kann ich nicht alles
    persönlich beantworten. Trotzdem lese ich
    sämtliche Briefe und bewahre sie in der
    Hoffnung auf, sie eines Tages gebührend
    beantworten zu können.
    Bis dahin mit freundlichen Grüßen,
    Ihr Stephen Hawking
     
    Ich rief Mom auf dem Handy an. »Oskar?« »Du hast noch vor
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