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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen
Autoren: Richard Swartz
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Leidenschaft zu tun hatten? Schon seit ihrer ersten Begegnung an jenem Abend im Sperl? Wem hatte denn die Hand auf ihrem Schenkel gehört? Und war nicht das, was sie später getrieben hatten, riskant genug gewesen? War seine Leidenschaft nicht undenkbar ohne Verstellung, ohne all die verlogenen Erklärungen, zu denen er zu Hause gezwungen war? Hatte sie denn nicht daran gedacht, was er heute Abend wieder würde erfinden müssen?
    Alles um ihretwillen!
    Und konnte nicht ihr Gatte im nächsten Moment die Schlüssel in die Tür stecken, nachdem er früher als gewöhnlich im Büro fertig geworden war, oder weil er sein Herz gespürt, plötzliche Übelkeit oder einen Schwindelanfall verspürt hatte? Vielleicht war er gar nicht nach Bregenz gefahren, würde stattdessen bald zu Hause auftauchen, weil er seine Frau schon lange verdächtigte, einen Liebhaber zu haben, wenn nicht ihn, dann einen anderen?
    Nicht alle waren so gutmütig wie die Frau des Mannes, die ihn spätabends heimkommen ließ, ohne Fragen zu stellen, solche wie du und ich können nie ganz sicher sein, pflegte der Mann zu der Frau zu sagen, die kleinste Unvorsichtigkeit kann das ganze Lügengewebe zerreißen, in das wir uns verstrickt haben, und all das habe ich für dich riskiert, sagte er, für dich und keine andere.
    Du nennst es Lügen, sagte die Frau langsam und sah aus dem Fenster.
    Was hätte er darauf erwidern sollen?
    Nein. Du bist meinetwegen keine Risiken eingegangen.
    Noch immer verstand er nicht, was sie meinte, und sagte es ihr.
    Was wirfst du mir eigentlich vor?
    Dass du nicht gesagt hast, dass du mich liebst.
    Wann hätte ich das sagen sollen? fragte der Mann mit einer Grimasse. Schon im Sperl? Oder etwa im Sacher?
    Ja, sagte sie. Schon im Sperl. Oder wenigstens im Sacher.
    Draußen regnete es weiter, der Regen trommelte gegen die Fensterscheiben, als wollte er sich von der anderen Seite in Erinnerung bringen und ihre trostlose Melodie aufnehmen.
    Du hast mich nie geliebt, sagte sie.
    Die Frau hatte wieder angefangen, in ihrer Tasse herumzurühren, aber sie trank den Inhalt der Tasse nicht mehr, er musste längst erkaltet sein, sicher ein Kräutertee, den man sofort trinken sollte, und zwar heiß, damit er nicht bitter schmeckt, und warum sie trotzdem fortfuhr, in der Tasse herumzurühren, war unbegreiflich, nicht einmal Zucker oder Honig hatte sie hineingetan, aber es stimmte, diese Hand und diese Stimme, dieses Rühren und diese leiernde Stimme passten zusammen, weil sie so ohne Sinn und Ziel schienen, und nachdem die Frau sich jetzt das Herz vorgenommen und festgestellt hatte, dass er sie nie geliebt hätte, war der Mann sicher, dass gleich der übrige Körper an die Reihe käme, ja, dass er sich nur für ihren Körper interessiert hätte, für nichts anderes, als würden einem Risiken nur in Verbindung mit der Seele und der geistigen Welt angerechnet; aber sie sagte es nicht, stattdessen wiederholte sie, er habe sie nie geliebt.
    Draußen hatte der Regen fast aufgehört. Nur vereinzelte Tropfen schlugen gegen die Scheiben, ohne zu Rhythmus oder Melodie zu werden. Aber die Dunkelheit musste längst hereingebrochen sein, und als der Mann auf die Uhr sah, erschrak er; zu dieser Zeit hätte er schon zu Hause sein sollen.
    Aber noch wollte sie ihn nicht gehen lassen.
    Deine arme Frau, flüsterte sie.
    Wie habe sie sich geschämt, als seine Frau sie zum ersten Mal in der Oper ansprach, als ob sie sich zufällig getroffen hätten, aber all das war ja von dir geplant, sagte die Frau, mit derselben fremden Stimme wie zuvor, trotzdem bestimmt und unerbittlich, das arme kleine Ding, wiederholte die Frau, als der Mann sich vom Sofa erhob, es war höchste Zeit, nach Hause zu gehen.
    Der Mann blieb vor ihr stehen, unsicher, ob er nicht doch noch eine Weile bleiben sollte.
    Ich habe deine Hände so gern gemocht, sagte die Frau plötzlich. Sie sind so klein. Die Hände waren das erste, was ich von dir sah.
    Was sie da sagte, erstaunte den Mann.
    Magst du sie nicht mehr? fragte er.
    Schau, meine Hände sind auch klein.
    Die Frau hatte ihre Hände vor sich ausgestreckt, wie um ihn davon zu überzeugen, und es stimmte wirklich, der Mann hatte es bisher nicht bemerkt, aber jetzt sah er, dass sie so klein waren, wie sie behauptete, diese Hände mussten jetzt besser zu ihr passen, da sie geschrumpft und abgemagert war, obwohl er und nicht sie krank gewesen war, und der Mann beugte sich vor, um das Paar Hände zu streicheln, das er vielleicht nur viel zu spät
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