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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen
Autoren: Richard Swartz
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Überraschung hatte er erkannt, dass die Antwort auf eine solche Frage nicht ebenso selbstverständlich war, wie er es vielleicht zuerst angenommen hatte.
    Hast du es auch gemerkt? fragte sie. Wie unglücklich sie wirkt?
    Unglücklich? sagte der Mann. Es könnte ja auch an der Musik gelegen haben.
    Aber das verneinte die Gattin entschieden. Mit Musik habe der Kummer ihrer Freundin nichts zu tun, ein solcher Grobian, sagte sie, es war der Anwalt, den sie meinte, und der Mann protestierte nur halbherzig, ins Bett gehen zu dürfen war das einzige, woran er denken konnte.
    Ich bin sicher, dass er sie auf seinen Geschäftsreisen betrügt, sagte die Frau, die trotz der späten Stunde angefangen hatte, ihre Haare mit kräftigen, energischen Bewegungen zu bürsten. Nicht einen Tag würde ich so einen Kerl ertragen, sagte sie, in weichen, wogenden braunen Wellen fielen ihre Haare über Hals und Schultern, und seine Frau seufzte noch einmal, armes kleines Ding, und der Mann musste etwas sagen, um die Stille zwischen ihren Kommentaren über den Abend auszufüllen, die mehr an sie selbst im Spiegel gerichtet waren als an ihn; und während der Mann versuchte, den Anwalt in Schutz zu nehmen, ohne deswegen gegen seine Frau Partei zu ergreifen, musste er die Hände in die Hosentaschen gesteckt haben, um Münzen und abgerissene Eintrittskarten herauszunehmen, und in der linken befand sich das Höschen der Frau, der Mann hatte es vollständig vergessen. Aber jetzt knetete er es wieder in der Hand wie im Taxi und in der Oper, das kleine Ding hat wirklich einen besseren Kerl als den verdient, sagte die Frau, die jetzt fertig war, die Haarbürste hatte sie auf dem Bord vor dem Spiegel abgelegt.
    Was sollte er mit dem Höschen anfangen?
    In der Hosentasche konnte es nicht bleiben. Auch am Boden seiner Schubladen im Kleiderschrank wäre es nicht sicher, ich glaube, ich habe vergessen, das Licht in der Küche auszumachen, sagte der Mann, aber seine Frau hörte nicht zu, sie gähnte nur, und der Mann ging daraufhin sofort in die Küche und steckte das Höschen in die Abfalltüte, ganz unten unter Eierschalen und Kaffeesatz.
    Am nächsten Tag hatte er eine fiebrige Erkältung. Seine Frau meinte, es könne mit dem Wetterumschwung zusammenhängen. Bald wäre es Winter, und ihr Mann solle vorsichtig sein, sich ordentlich anziehen und nicht mit nassen Haaren ausgehen. Warum war er immer so unvorsichtig? In dieser Jahreszeit entstehen durch Zug oder Feuchtigkeit aus offenen Fenstern oft Erkältungen, sagte die Frau, eine Erkältung, die man dann nicht so leicht wieder loswird, hörst du, was ich sage, sagte sie, jetzt im Winter müssen die Fenster ordentlich geschlossen bleiben, ja natürlich, antwortete der Mann, aber er hörte kaum zu, dachte nur daran, wie sich im Sommer manchmal eine Hummel in ein Zimmer verirrt und brummend gegen die Fensterscheiben prallt, ohne wieder hinauszufinden.
    Später an diesem Nachmittag war der Mann allein zu Hause und wollte zuerst in der Theobaldgasse anrufen. Aber er tat es nicht und redete sich ein, es müsse mit der Erkältung zu tun haben. Gegen Ende des Nachmittags war das Fieber gesunken, und obwohl seine Frau ihm gesagt hatte, er solle den ganzen Tag auf dem Rücken im Bett liegen bleiben, Obstkompott essen und zu schlafen versuchen, wollte der Mann eigentlich nichts lieber als aufstehen, sich rasieren und eine Zigarette am offenen Schlafzimmerfenster rauchen, genau so sah diese Ehe aus, eigentlich seit zehn Jahren oder länger, und noch einmal überlegte er, in der Theobaldgasse anzurufen, bevor seine Frau wieder nach Hause käme.
    Aber er rief nicht an, öffnete stattdessen das Fenster zur Kälte und zu dem herannahenden Winter da draußen. Es war ein strahlender Tag mit kalter Sonne. Im Haus gegenüber stand eine Frau auf der Leiter und staubte einen Kristalllüster ab, gelegentlich leuchtete ein Glasprisma da drinnen auf.
    Während der Mann am offenen Fenster seine erste Zigarette rauchte, klingelte mehrmals das Telefon. Er war sich sicher, dass sie es war, aber obwohl der Mann allein zu Hause war, ging er nicht ans Telefon.
    Am vierten Tag war die Erkältung vorbei, und er hatte keine Entschuldigung mehr, sich nicht zu melden. Trotzdem wurde nichts daraus. Was mochte sie tun? Der Mann versuchte sich vorzustellen, womit die Frau beschäftigt war. Vielleicht glaubte sie, ihm sei etwas zugestoßen? An diesem Abend sagte seine Frau beim Essen, sie hätte vom Büro aus angerufen und sich für den netten
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