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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen
Autoren: Richard Swartz
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Schlafenszeit war.
    Die Dankbarkeit des Mannes für ihn war groß und aufrichtig, mit der Zeit wurde sie zu etwas wie Zuneigung, obwohl es niemanden in Manhattan gab, um einen solchen Traum mit ihm zu teilen. Und er fühlte sich in diesem Amerika wirklich nicht wohl: damit, wie man hier miteinander verkehrte und einander begrüßte, mit der Hitze, der stagnierenden drinnen und der feuchten draußen, mit Gerüchen und Düften, mit dem Tag und Nacht mahlenden Lärm der Stadt, mit frechen und vulgären Menschen, und damit, dass es hinter jeder Ecke so viele von ihnen gab.
    Immer öfter ertappte sich der Mann dabei, dass er die Stille Europas vermisste. Früher hatte er selten an sie gedacht, aber hier in Manhattan erschien ihm diese europäische Stille wie etwas sehr Seltenes und fast Liebgewordenes. Er versuchte sich mit aller Macht zu erinnern, wie sie geklungen hatte. Seine Reitpferde waren zusammen mit Reitgerte, Mänteln und Stiefeln auf der anderen Seite des Atlantiks zurückgeblieben, und er vermisste auch sie, vielleicht mehr als irgendetwas anderes von alledem, was er nicht hatte mitnehmen können. Der Mann dachte an die Pferde und dann an Maiglöckchen, an einen Tisch, der gedeckt oder abgeräumt wird, an eine Standuhr, die im Nebenzimmer schlägt, an das Summen von Bienen und Fliegen, an einen gebohnerten Parkettboden; und an eine ganze Menge von alledem, was ihm erst in Amerika eingefallen war, dachte er vermutlich zum ersten Mal in seinem Leben.
    Der Mann ertappte sich manchmal dabei, dass er in seinen zwei Zimmern auf und ab ging, als wären sie einer jener europäischen Parks mit Rasenflächen, Gipsfontänen und Kieswegen, und dabei, dass er selbst nichts Besseres zu tun hatte, als dort auf und ab zu gehen.
    Aber der amerikanische Traum war fordernd: mit seinem Lärm und Krach übertönte er das Getöse draußen auf der Straße, und das irritierte den Mann, nicht gewohnt wie er es war, herumkommandiert und herumgeschickt zu werden, gewohnt, selbst seine Meinung zu sagen und Anweisungen zu erteilen, wenn es nötig war, aber hier gehorchte man ihm nur in dem Warenlager unten am Hafen, nicht mehr auf dem Stallhof oder in seinem eigenen Zuhause.
    Der amerikanische Traum erniedrigte ihn. Er wollte ihn dazu bringen, Heringe zu enthäuten, Saft auf Flaschen zu ziehen, Konservendosen mit etwas zu füllen, das stank oder schmierte; es roch nach Schweiß, Terpentin, Teer oder Malerfarbe und schien alles zu enthalten, womit er sich dank der Familie auf der anderen Seite des Atlantiks nicht hatte befassen müssen. Aber jetzt war die Absicht, dass er ausgerechnet mit Heringen, Saft oder Konservendosen reich werden sollte, und er verachtete den amerikanischen Traum dafür, dass er auf diesem Kontinent mit einer solchen Leidenschaft von allen geträumt wurde, obwohl er unbequem und voller Anstrengungen und Entbehrungen war, und gerade deshalb für Leute anderen Schlags gemacht als er selbst.
    Stattdessen sank der Mann immer tiefer in das hinein, was, wie er eines Tages (es war ein Donnerstag) zu seiner Überraschung feststellte, er selbst war. Der Mann war dabei, in seinem eigenen Unglück zu ertrinken. Fast unmerklich musste es ihn so erfüllt haben, wie wenn Wasser langsam einen Keller überflutet, ohne dass es sich im Haus darüber anders bemerkbar macht als in Feuchtigkeitsflecken an Tapeten oder einem Geruch nach Verwesung an einem frühen Frühlingsmorgen. Gern wollte er glauben, dass niemand außer ihm selbst bemerkt hatte, wie es um ihn stand.
    Gab es eine Rettung?
    Die Ehefrau des Mannes hätte an seiner Seite sein sollen, aber seine Frau befand sich in Stockholm, während er immer tiefer sank, durch alle Risse sickerte weiterhin das Unglück herein, während der Atlantik Mann und Frau trennte, bald spiegelblank, bald windgepeitscht, mit meterhohen Wellen voller Salz, und genau so stellte er sich gelegentlich seine eigene Lage vor, wie einen Stillstand zwischen einer Art Ebbe und Flut, zwischen vager Hoffnung und totaler Verzagtheit, und er tat das gern, eine süße und knisternde Hülle umschloss diese Vorstellung von seinem eigenen Unglück. Aber auch diese war nicht viel mehr als ein Gefühl, während er mit jedem Tag immer tiefer in dem versank, was durchaus wirklich war.
    Das Geld – hier finanzielle Mittel genannt –, von dem er hoffte, dass es ihm aus Stockholm geschickt würde, Geld, das ihm gegen Legitimation und Unterschrift in der Filiale der National City Bank an der Riverside Avenue 12 ausbezahlt
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