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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen
Autoren: Richard Swartz
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Lagerarbeit. Im Lager wurden ihre an sich schon dunklen Gesichter vom Zwielicht in diesen Speicherräumen mit nur einer Handvoll schmaler Fenster verschluckt.
    Einer davon schien sich wenigstens zu bemühen, man konnte es nicht anders sagen, dieser Chinese war tüchtig, und der Mann war sich fast sicher, dass dieser Chinese genau wie er selbst die anderen verachtete. Dass der Chinese und er der gleichen Meinung waren, wollte er Chinas so uralter wie unerschöpflicher Kultur zuschreiben, die auf geheimnisvollen Wegen auch einen einsamen Chinesen in der Diaspora bereicherte, obwohl dieser nicht viel mehr schaffte, als fremde Böden mit einem Besen einigermaßen sauber zu halten. Die Kultur des Mannes selbst war wohl nicht großartig, aber doch verwandt.
    Gelegentlich kam der schwedische Freund zu Besuch nach New York. Es stand sogar etwas darüber in der Zeitung. Aber das war auch schon alles; nur in den amerikanischen Zeitungen gab sich der sogenannte Freund zu erkennen. Für den Mann hatte er in Amerika keine Zeit, der Freund musste sich ja um seine Patente und seinen Ruf kümmern, und während der Besen des Mannes sich auf dem Boden hin und her bewegte, der Besen, mit dem der Freund ihn aus reinem Mitleid versehen hatte, damit er sich zumindest auf diesem fremden Kontinent würde versorgen können, dachte der Mann an die Briefe, in welchen seine Frau schrieb, wie sehr sie sich nach ihrem Mann sehnte.
    Aus Stockholm schrieb seine Frau, dass sie nichts lieber täte, als sich so bald wie möglich mit ihm in New York zu vereinen, damit die Familie wieder zusammen wäre, »aber da alle Kabinen bis Ende September ausgebucht sind und die Hoffnung, dass eine Einzelkabine während der Saison storniert wird, gering erscheint, musste ich wiederum meine Reise verschieben, obwohl mir das Herz blutet …«
    In Anbetracht der Umstände hielt der Mann dieses blutende Herz für eine Übertreibung und obendrein für eine Kränkung, auch wenn das Herz seiner eigenen Frau gehörte, dieses arme Organ, das von Brief zu Brief viel mehr zu bluten schien als dass es für ihn schlug, während es der Frau mit jedem dieser Briefe gelang, neue und vollständig unerwartete Gründe dafür vorzubringen, dass die Reise noch ein weiteres Mal verschoben werden musste.
    Ja. Alles, was einmal das Seine gewesen war und ihm Freude bereitet hatte, war in Europa zurückgeblieben.
    Worüber verfügte er in Amerika außer der gemessenen Höflichkeit, der hier so geringe Wertschätzung zuteil wurde?
    Sein Stil war wirkungslos, nachdem er seinen Inhalt verloren hatte, seit Pferde, Teppiche und alles Silber verkauft worden, die Gemälde im Pfandhaus gelandet waren und seine eigene Familie ihn mit einer einfachen Fahrkarte nach Amerika geschickt hatte. Der Freund hatte ihn dann in seinem Lager untergebracht. Die Wochen vergingen mittlerweile in der Erwartung, dass jemand – aber wer, vielleicht doch Cedergren? – sich seiner erbarmen und ihm aus Schweden eine kleinere Summe telegrafieren würde. Dafür wollte er eine einfache Rückfahrkarte kaufen und damit alle überraschen.
    Stil ohne das, was für gewöhnlich dazugehört, war hier nicht gefragt. Was war ihm eigentlich geblieben? Außer einer gewissen zerstreuten Nonchalance, ein paar Seidentaschentüchern und der Kunst, eine Konversation über fast jedes beliebige Thema zu führen, hatte der Mann nicht viel zu bieten. Ihm war das durchaus bewusst. Seine reservierte Haltung, weniger gegenüber den niederen Klassen als gegenüber Leuten ganz allgemein, empfanden die Menschen hier als persönlichen Angriff, und empört brachten sie das gegen ihn vor.
    Sie hatten den Mann dazu gebracht, sie auch als Individuen zu verachten. So hatten sich ihre Vorurteile gegenüber Europäern gerade seines Schlags bestätigt und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie, in diesem Land, das meinte, die Klassen abgeschafft zu haben und die Menschlichkeit für das höchste Gut zu halten, sich an ihm persönlich rächen würden. Was in Europa gereicht hätte und mehr als genug gewesen wäre, zählte in diesem Land überhaupt nicht, und dies war mehr als ein Gefühl; es wurde zur Wirklichkeit, sobald er in Amerika jemanden ansprach oder beim Essen Messer und Gabel in den Händen hielt.
    So hatte der Mann einsehen müssen, dass ihm ganz und gar fehlte, was ihm hier helfen würde, vorwärts zu kommen. Draufgängertum und Zielstrebigkeit waren seine Sache nicht, und gerade das Stilbewusstsein, das in allen Wechselfällen des Lebens
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