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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen
Autoren: Richard Swartz
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ausführlich zu kommentieren, streckte sich der Anwalt nach der Weinkaraffe vor ihm auf dem Tisch; die ganze Gruppe der Streicher muss im Orchestergraben falsch plaziert worden sein, sagte er, im Hinblick auf die Akustik der Wiener Oper müssen die Streicher bedeutend weiter vorn und links plaziert werden, um das richtige Klangbild für diese Oper zu erzeugen, die ja eigentlich keine Oper ist, sondern ein Singspiel, sagte der Anwalt, und zum ersten Mal an diesem Abend mischte sich seine Frau ins Gespräch, von Klang könne doch nicht die Rede sein, wenn es sich um Streicher und Saiteninstrumente handele, aber ihr Mann bestand darauf, seit wann verstehst du etwas von Musik, sagte er grob, und im Stillen musste der Mann dem Anwalt recht geben; die Gattin des Anwalts war erstaunlich unmusikalisch, obwohl sie aus Wien stammte.
    Unter dem Tisch wollte der Mann vorsichtig mit dem Fuß den ihren streifen, aber der Tisch war klein, und obwohl das Tischtuch fast bis zum Boden reichte, war die Gefahr groß, statt des Fußes der Frau den von jemand anderem zu berühren, ein so kleiner Tisch kann auch den sehr Vorsichtigen ins Verderben stürzen, und der Mann verzichtete darauf.
    Was kann ein so kleines Tischtuch alles verbergen! Und wie gern breiten wir gerade so ein Tuch aus, ohne die mindeste Absicht, Gläser drauf zu stellen oder Gabeln und Messer darauf zu legen! Der Anwalt fuhr fort, seine Gäste mit der einen oder anderen klugen Bemerkung über das, was im Orchestergraben vor sich geht, zu unterhalten, doch die beiden Frauen schienen nicht besonders aufmerksam zuzuhören, nicht einmal, wenn der Anwalt das Gesagte durch ein Herumfuchteln mit Messer und Gabel über dem Tisch unterstrich.
    Auch der Mann hörte nur mit halbem Ohr zu und begann schon wieder zu überlegen, ob er versuchen sollte, den Fuß der Anwaltsgattin unter dem Tisch zu finden, aber als hätte der Anwalt diese Absicht erahnt und noch weit mehr von dem, was sich unter einem Tisch abspielen kann, hörte er auf, mit Messer und Gabel zu fuchteln, und legte sie auf den Teller zurück, wischte sich mit der Leinenserviette über Stirn und Mund, um seiner Frau recht zu geben. Klang und Streicher passen nicht richtig zusammen, ein Wort wie Klang passt eher zu Blech und Bläsern.
    Der Anwalt hatte die Stirn in tiefe rote Falten gelegt und sah jetzt wirklich aus wie ein Schuljunge, der sich anstrengt, die Antwort auf eine besonders knifflige Frage zu finden, die der Lehrer gerade gestellt hat, jedoch ohne auf diese Antwort zu kommen; c’est le ton qui fait la musique, sagte er schließlich, aber an seinem verärgerten Gesichtsausdruck konnte man auch ablesen, was er selbst sofort begriffen hatte, dass nämlich diese französische Redewendung unzulänglich und platt war, als Antwort völlig unbrauchbar.
    Die Rechnung kam. Der Mann wollte bezahlen, aber der Anwalt bestand darauf, das sei seine Sache. Hatte er nicht von vornherein klargemacht, wer der Gastgeber dieses Abends war? Wieder war er verärgert, aber alle am Tisch konnten sehen, dass das Bezahlen ihn überhaupt nicht interessierte, dass die Rechnung nur ein Vorwand für seine schlechte Laune war. Der Abschied fiel kurz aus und förmlich, fast kühl.
    Als sie nach Hause kamen, war die Gattin des Mannes immer noch bekümmert. Die neue Freundin hatte den ganzen Abend über so gewirkt, als seien ihre Gedanken ganz woanders, wo sie gar nicht hätten sein sollen, vielleicht liege es an ihrer Ehe, sagte die Gattin, während der Mann neben ihr im Badezimmer die Fliege aufknotete und den Hemdkragen lockerte, und mit den Händen so dicht an seinem Gesicht konnte er immer noch den Duft der Geliebten wahrnehmen, ihr Mann ist wohl nie zu Hause, sagte die Gattin und seufzte, aber zur Antwort zuckte der Mann nur die Achseln, er war müde und wollte nichts anderes, als zu Bett gehen und schlafen.
    Stell dir nur vor, wie es wäre, wenn du nie zu Hause wärst, sagte die Gattin und betrachtete sein Gesicht im Badezimmerspiegel. Der eine oder andere Abend in der Woche geht noch, aber so wie sie könnte ich niemals leben.
    Mit einem großen Wattebausch wischte sich die Gattin die Schminke von Wangen und Augenlidern, und ohne Schminke sah auch sie aus, als brauche sie Schlaf, aber der Mann selbst wusste nicht, ob das, was sie gesagt hatte, wirklich ihm galt oder ob die Gattin nur auf den Gedanken gekommen war, die Bedingungen, welche für die Ehe der neuen Freundin galten, an ihrer eigenen Ehe zu messen, und zu seiner
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