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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen
Autoren: Richard Swartz
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war feige und jämmerlich, er wusste es, aber im Bus ertappt zu werden hätte sich für ihn schlimmer angefühlt als in einer anderen Situation, die in den Augen der Frau weit skandalöser gewesen wäre.
    An der nächsten Haltestelle stieg er aus, ohne entdeckt worden zu sein. Rasch ging er in entgegengesetzter Richtung davon, ohne sich umzudrehen. Als er dies nach einer Weile zu tun wagte, sah der Mann den Bus die Gumpendorfer Straße hinunter verschwinden, schon auf dem Weg zum Esterházyplatz.
    Dieses Erlebnis im Bus war so verstörend gewesen, eine so schwere Niederlage, dass der Mann es wie eine Genugtuung empfand, als die Frau drei Tage später anrief. Ich muss dich treffen, sagte sie. Ihrer Stimme war nicht anzumerken, was sie wollte, nur, dass der Mann keine Wahl hatte, komm am Donnerstag Nachmittag um fünf zu mir, Donnerstag passt gut, sagte der Mann und versuchte so zu klingen, als hätten sie sich erst gestern gesehen und nicht vor mehr als drei Wochen.
    Als der Mann im vierten Stock aus dem Aufzug stieg, stand die Frau schon in der Türöffnung und erwartete ihn. Er wollte sie küssen, aber sie ließ seine Lippen die ihren nur streifen, und mit einem unguten Gefühl folgte er ihr durch die Diele in das große Wohnzimmer der Bergers, wo der Mann so lange nicht mehr gewesen war, und er war sich völlig bewusst, dass er ihr nicht erklären konnte weshalb. Wie sie da auf dem Sofa saß, wirkte sie kleiner und dünner als gewöhnlich.
    Du warst also krank, sagte die Frau.
    Vor ihnen auf dem Sofatisch stand eine Teekanne mit nur einer Tasse. Tee war etwas, was sie sonst nie tranken. Möchtest du vielleicht eine Tasse Tee, fragte die Frau, und der angebotene Tee schien ein schlechtes Omen, dieser Trank machte den Mann beklommen, einen Tee wollte er wirklich nicht. Mit dem Löffel begann die Frau in der Tasse herumzurühren, unnötig lange, wie der Mann fand, und ohne mit dem Rühren aufzuhören, sah sie plötzlich auf und sagte, ihr sei schon von Anfang an klar gewesen, dass es sich nicht um eine flüchtige Beziehung handele, keine gewöhnliche Affäre, wie sie sagte, und dass die Frau beschlossen hatte, das, was zwischen ihnen gewesen war, als etwas Ungewöhnliches zu beschreiben, ließ den Mann auf der Hut sein.
    Zwischen uns sollte alles ganz ernst sein oder überhaupt nicht, fuhr sie fort und machte dann eine kurze Pause, die wohl dazu diente, den Unterschied zwischen »ganz ernst« und »überhaupt nicht« einsinken zu lassen, und tatsächlich sank er ein, und als die Pause vorüber war, fügte die Frau hinzu, alle Männer in ihrem bisherigen Leben hätten sie enttäuscht, auch mein eigener Mann, sagte sie, eine lange Reihe von großen Enttäuschungen, die sie fast dazu gebracht hätte, die Hoffnung aufzugeben, jemals einem Mann zu begegnen, der nicht wie alle anderen wäre, und der Mann konnte nicht anders, als eine lange Reihe von Männern vor sich zu sehen, die aus dem Kleiderschrank des Anwalts mit Jacketts ausstaffiert wurden, ohne dass ein einziges sich als passend erwies.
    Aber mit dir war es anders, sagte die Frau ernsthaft und legte den Löffel auf die Untertasse. Ich habe mir eingebildet, dass du der Richtige wärst. Erst jetzt hatte sie etwas Tee getrunken, bevor sie die Tasse wieder abstellte, und in dieser erneuten Pause fiel dem Mann ein, sie doch auch um eine Tasse zu bitten, aber bevor er dazu kam, sagte sie, alles sei vergebens gewesen, alles hätte sich als Irrtum erwiesen, auch er hätte sie, wie alle anderen Männer zuvor, enttäuscht, und das wurde in einem Ton gesagt, der besser auf eine Bühne gepasst hätte, obwohl sie jeder in seinem Sessel im Wohnzimmer des Anwalts und seiner Frau saßen.
    Obwohl der Mann meinte, einen solchen Ton nicht verdient zu haben, schwieg er weiterhin, während das kleine bleiche Gesicht der Frau aussah, als hätte sie die Absicht, mehr von dieser Art mitzuteilen, als wäre sie mit großer Entschlossenheit bereit fortzufahren, wie unangenehm es für sie beide auch werden mochte.
    Aufs neue hatte sie begonnen, in ihrer Teetasse herumzurühren, und im Schein der Tischlampe sah der Mann, wie ihr Gesicht tatsächlich verschrumpelt war, wie eine Frucht, die man auf einem Teller vergessen hatte, was für eine vergrämte Miene dieses Gesicht angenommen hatte, die zu diesem Bleichen und Zerknitterten passte, und obwohl das, was die Frau gesagt hatte, keine Drohung enthielt, nicht einmal wahr war, wusste der Mann ja, wie hartnäckig sie an einer Meinung festhalten
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