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Norden ist, wo oben ist

Norden ist, wo oben ist

Titel: Norden ist, wo oben ist
Autoren: Rüdiger Bertram
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Leute haben riesige Bibliotheken mit Massen von Büchern, mein Vater hat Filme. Unmengen von Filmen.
    „Meinst du, hier steht irgendwo der Film mit den Pommes?“, fragt Mel.
    „Du musst bei F wie Fisch gucken! Die sind alphabetisch geordnet. “ Das rutscht mir so heraus.
    „Woher willst du das wissen?“
    „Wie sollte man so viele Filme sonst vernünftig ordnen?“, antworte ich schnell und zum Glück schluckt sie meine Antwort. Sie hat schon angefangen zu suchen und ist dafür auf eine Leiter gestiegen.
    „Du hast Recht! Hier ist er!“, ruft sie glücklich und hält die DVD in die Höhe. „Meinst du, du kriegst die Anlagen zum Laufen?“
    „Kleinigkeit“, entgegne ich, weil ich das schon oft gemacht habe. „Ich kann ganz gut mit Technik.“
    „Yep, dann kümmere ich mich ums Essen!“, sagt Mel und verlässt das Kino.
    Als Mel eine Viertelstunde später immer noch nicht zurück ist, gehe ich nachschauen. Ich mache mir Sorgen. Weniger um Mel, sondern mehr um unser Haus. Meine Sorgen sind unbegründet. Mel kniet auf dem Küchenboden und sucht etwas in einem Schrank. Auf dem Gasherd steht eine Pfanne mit einem Deckel und darunter brennt eine Flamme.
    „Was machst du da?“, frage ich.
    „Ich suche eine Schüssel“, antwortet Mel. „Diese Küche ist so groß wie eine Kantine, aber meinst du, ich finde irgendwo eine verdammte Schüssel?“
    Ich könnte ihr sagen, wo die Schüsseln sind, aber ich habe mich schon zu oft verplappert.
    Also zucke ich nur die Schultern. Statt sie mit „warm, warm“ oder „kalt, kalt“ zum Ziel zu leiten, hebe ich neugierig den Deckel von der Pfanne.
    „Und was wird das …“
    Weiter komme ich nicht. Ich habe genau den Punkt erwischt, an dem der Mais anfängt zu ploppen, sodass mir die Popcorn-Flocken rechts und links um die Ohren fliegen. Vor Schreck lasse ich den Deckel fallen. Scheppernd landet er auf den Fliesen.
    „Super! Ganz super!“, sagt Mel und starrt mich vorwurfsvoll an.
    „Ich dachte, du kannst nicht kochen“, sage ich und starre vorwurfsvoll zurück.
    „Popcorn kann jeder“, erwidert Mel. „Na ja, fast jeder.“
    Das „fast“ gilt mir und es fällt mir schwer, ihr zu widersprechen, weil ich bis zu den Knöcheln in Popcorn stehe.
    Dreißig Minuten später sitzen wir in den beiden Sesseln vor der Leinwand und lachen uns halb schlapp. Der Film ist wirklich lustig. Dazu futtern wir das Popcorn. Mel hat es mit einem Handfeger vom Boden in eine durchsichtige Plastiktüte gekehrt, weil sie keine Lust mehr hatte, nach unseren Schüsseln zu suchen. Ich habe kein Problem damit. Mel anscheinend auch nicht, dabei weiß sie gar nicht, dass wir drei Putzfrauen haben, die sich die Arbeit in der Villa teilen.
    Mel und ich haben jedenfalls viel Spaß, und für einen Moment vergesse ich sogar, dass ich bei mir zu Hause eingebrochen bin. Wir gucken gerade die Szene, in der ein Mann namens Otto einem anderen die Pommes in die Nase steckt.
    „Otto ist ein noch blöderer Name als Wanda“, sagt Mel.
    „Warum? So hießen früher die deutschen Kaiser. Die nannten sich Ottonen und lebten so um 1.000 nach Christus. Es gab Otto I ., Otto II . und Otto III .“, erwidere ich.
    „Woher weißt du denn so einen Quatsch?“, fragt Mel und sieht mich mit großen Augen an.
    „Ach, das haben die mal in einer Quizshow gefragt“, sage ich. Aber das ist gelogen, ich habe ein Buch über die Ottonen gelesen, daher weiß ich das. Ich könnte alle deutschen Kaiser und Könige seit Karl dem Großen in der richtigen Reihenfolge aufsagen, aber ich glaube nicht, dass das irgendjemanden interessiert, und Mel schon gar nicht.
    „Wie heißt du eigentlich?“, fragt Mel plötzlich.
    „Wieso?“
    „Hast du noch gar nicht gesagt!“
    „Du hast ja auch noch nicht gefragt.“
    „Ich frag ja jetzt.“
    „Elvis Cheyenne, aber du kannst mich Elvis nennen“, antworte ich. Auf die Schnelle ist mir nichts Besseres eingefallen und meinen echten Namen Paul-Antonius-Philipp mit vier P hätte sie mir bestimmt nicht geglaubt.
    Mel lacht.
    „Bist du so eine Art singender Indianer, oder was?!“, prustet sie und hält sich an der Lehne fest. „Du Ärmster, da haben dir deine Eltern ja einen richtigen Assi-Namen verpasst. Elvis Cheyenne! Ich fasse es nicht!“
    Sie kriegt sich gar nicht mehr ein. Sie japst und quietscht und bekommt keine Luft mehr. Dass das nicht an ihrem Lachkrampf liegt, merke ich erst, als ich ihre Augen sehe. Die sind ganz weit aufgerissen und für einen Moment bin ich nicht
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