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Norden ist, wo oben ist

Norden ist, wo oben ist

Titel: Norden ist, wo oben ist
Autoren: Rüdiger Bertram
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was jetzt mit mir geschehen wird. Dann ertönt wieder die Polizeisirene im Flur, weil die Kollegen da sind, um uns abzuholen.
    Als eine Polizistin die Badezimmertür aufschließt, strecke ich ihr meine Arme entgegen, damit sie mir Handschellen anlegen kann. Die Frau lacht nur und streicht mir über die Haare.
    Handschellen wären mir lieber gewesen.
    Die Beamtin führt mich auf den Flur, wo Mel und ihr Bruder schon auf uns warten. Mel schaut mich nicht an. Sie hat ihr Gesicht in dem Fuchspelz vergraben. Es sieht aus, als hätte sie geweint.
    Wir fahren alle zusammen mit dem Aufzug nach unten. Draußen hocken immer noch die Kindergangster auf ihrer Bank und machen große Augen, als wir in den Polizeiwagen steigen, der vor der Tür wartet. Ich grinse die beiden Anfänger an. Sollen sie ruhig glauben, dass Mel und ich zwei richtig üble Verbrecher sind.
    Stimmt ja auch, irgendwie.
    Auf dem Polizeipräsidium bringen sie uns in zwei unterschiedliche Zimmer. Die Polizistin bietet mir eine Tasse Kakao an, die ich aus Stolz selbstverständlich ablehne. Eine halbe Stunde später taucht mein Vater auf. Allein.
    Er schimpft nicht, sondern nimmt mich einfach in den Arm und drückt mich an sich. Das hat er schon lange nicht mehr getan.
    Dann gehen wir und ich schnappe mir noch schnell einen der Zuckerwürfel, die neben der Kaffeetasse eines Polizisten liegen. Einer aus einem Polizeipräsidium fehlt mir noch in meiner Sammlung. Das ist so viel wert wie Würfel aus Shanghai, Mumbai, Manila, Hanoi und Tokyo zusammen. Mindestens.
    Als wir über den Flur laufen, sehe ich durch eine offene Tür Mel in einem Zimmer sitzen. Sie hockt mit gesenktem Blick auf einem Stuhl und streicht die ganze Zeit über das Fell ihres Fuchspelzes. Vor ihr steht eine Frau und redet auf sie ein. Wahrscheinlich Nervmama oder jemand vom Jugendamt, was weiß ich. Ihr Bruder sitzt hinter ihr. Für einen kurzen Moment treffen sich seine und meine Blicke. Er nickt mir zu und tippt Mel sanft auf den Rücken. Sie sieht auf und schaut mir in die Augen. Fünf Sekunden blicken wir uns an. Mel hebt müde den Arm und winkt mir zu. Ich winke zurück. Sie lächelt traurig und dann … dann legt sie ihre Handfläche unter den Mund, haucht einen Kuss darauf und pustet ihn quer durch den Raum zu mir herüber. Ob ihr noch niemand gesagt hat, wer ich in Wirklichkeit bin? Oder weiß sie es und mag mich trotzdem noch?
    Die zweite Variante wäre mir lieber.
    Ehe ich auf ihren Flugkuss reagieren kann, macht ein anderer Polizist von innen die Tür zu und mein Vater legt mir die Hand auf die Schulter.
    Auf dem Parkplatz steht sein Porsche. Wir steigen ein und fahren nach Hause. Mit Tempo zweihundertzehn auf der Autobahn dauert es nur drei Stunden, dann sind wir wieder zu Hause.

 

    Für den Einbruch in die Apotheke haben sie mir fünfzig Sozialstunden aufgebrummt. Aber nur, weil ich es für einen guten Zweck getan habe. Sonst wären hundert fällig gewesen. Die fünfzig Stunden hören sich schlimmer an, als sie sind. Dank der Beziehungen meines Vaters kann ich sie in einer Bibliothek abarbeiten. Außer Bücher abzustauben, habe ich da nicht viel zu tun. Wozu sie Mel verdonnert haben, weiß ich nicht. Wir haben uns seit dem letzten Treffen auf dem Polizeirevier nicht mehr gesehen.
    Wenn diese Geschichte ein Kinofilm wäre, dann hätten wir damals in Rostock Mels Bruder, die Polizei und überhaupt alle irgendwie übers Ohr gehauen und säßen jetzt mit einer ergaunerten Millionenbeute am Strand irgendeiner Trauminsel in der Karibik. Dann wäre es auch nicht mehr wichtig, dass meine Eltern Geld haben und ihre nicht. Dann hätten wir beide welches. Obwohl das mit dem Geld total überbewertet ist, genau wie Mel gesagt hat. Auf unserer Reise hat das irgendwann überhaupt gar keine Rolle mehr gespielt. Ich hätte ihr ruhig gestehen können, dass meine Eltern Millionäre sind, das hätte zwischen uns keinen Unterschied gemacht. Ich habe mich nur einfach nicht getraut.
    Übrigens hat es letzte Woche in Yuma geregnet. Das erste Mal seit zwanzig Jahren. Das war am selben Tag, als die Karte von Mel kam. Ohne Absender. Die Vorderseite zeigt einen Fuchs, der ein weißes Huhn in der Schnauze trägt und dem Betrachter verschwörerisch zuzwinkert. Auf der Rückseite steht:
    Hallo, du verlogener Arsch,
    glaub bloß nicht, ich hätte nicht die ganze Zeit gewusst, dass du ein stinkreicher, verwöhnter Schnösel bist. Dein Geld zahl ich dir zurück, keine Sorge. Aber du bist mir auch noch was
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