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Noras großer Traum (German Edition)

Noras großer Traum (German Edition)

Titel: Noras großer Traum (German Edition)
Autoren: Christin Busch
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Arztkoffer im Flur ab und ging mit dem Brief ins Wohnzimmer. Er hatte keine Ahnung, was sie ihm mitteilen wollte. Dennoch beschleunigte die gespannte Erwartung seinen Puls. Er riss den Umschlag auf und ließ sich am Fenster in einen Sessel fallen.
»Lieber Tom,
sicherlich bist du überrascht, nach so langer Zeit von mir zu hören. Eigentlich weiß ich auch gar nicht, wo ich anfangen soll. Es ist so viel geschehen in der Zwischenzeit. Auch fällt es mir schwer, dich brieflich so zu ›überrumpeln‹; aber ich glaube, du hast ein Recht, bestimmte Dinge zu erfahren, und telefonisch wäre es mir noch schwerer gefallen.
Diesem Brief liegt wieder ein Foto bei. Sieh es dir in aller Ruhe an. Das kleine Mädchen darauf heißt Sophie, ist zehn Monate alt – und deine Tochter, wie du sicher auch unschwer erkennen kannst. Ich habe selten ein Kind gesehen, dass seinem Vater so aus dem Gesicht geschnitten ist wie sie.
Ich entschuldige mich dafür, dich nicht eher informiert zu haben, aber nach meiner Rückkehr und dem Feststellen der Schwangerschaft ist mein Leben hier völlig auseinander gebrochen.«
    Tom ließ den Brief sinken. Fassungslos wanderte sein Blick nach draußen. Das konnte doch nicht wahr sein! Sein Empfinden schwankte zwischen ungläubiger Freude und bodenloser Enttäuschung darüber, dass sie ihm erst jetzt mitteilte, dass er Vater geworden war. Er zog das Foto aus dem Umschlag. Im selben Moment gewann die Kleine sein Herz. Sekundenlang erfassten seine Augen das Babygesicht, suchten nach Nora und auch nach sich selbst, bevor er wieder zu dem Brief griff.
»Max ist ausgezogen. Er hat mir den Vertrauensbruch nicht verzeihen können und ist vor allem nicht damit fertig geworden, dass ich das Baby bekommen wollte. Niklas und Marie haben sehr unter unserer Trennung gelitten. Und ich? Ich weiß gar nicht mehr, was ich damals alles gedacht und gefühlt habe. Alles war meine Schuld.
Mir ist in den Monaten der Schwangerschaft nur eines besonders klar geworden – dass ich noch nie in meinem Leben ganz für mich selbst verantwortlich war. Ich bin nach der Schule praktisch direkt aus meinem Elternhaus in die Beziehung zu Max gegangen. Wenn ich jetzt nach der Trennung zu dir nach Australien geflüchtet wäre (ja, ich glaube, es wäre eine Flucht gewesen), dann hätte ich mich sofort wieder in eine neue Abhängigkeit begeben. Und sicherlich in eine tiefere als je zuvor.«
    Tom runzelte die Stirn. Er verstand nicht, wieso sie von Abhängigkeit sprach. Er liebte sie so, wie er noch keinen Menschen vor ihr geliebt hatte. War er damit nicht in gewisser Weise sogar abhängig von ihr? Er schüttelte leicht den Kopf und wandte sich erneut ihren Zeilen zu.
»Ich musste erst einmal allein klarkommen, meine Gedanken und Gefühle ordnen und für mich und meine Kinder eine Basis schaffen.
Denn nach wie vor sind sie das Wichtigste in meinem Leben, und ich bin glücklich, sie zu haben – alle drei!
Ich denke oft an dich, Tom, und an die Zeit in Australien. Sophie ist schließlich ein sehr lebendiger Beweis dafür. Aber es hat sich seitdem so viel verändert. In den ersten Monaten der Schwangerschaft war ich zutiefst verzweifelt darüber, dass ich nun doch das Unheil über meine Familie gebracht habe, das ich so gern verhindert hätte. Ich allein war schließlich die Ursache, die alles ausgelöst hatte. Heute geht es mir schon besser. Ein neuer Lebensrhythmus hat sich eingeschliffen, und die Kinder können damit umgehen, dass ihr Vater zwar nicht mehr bei uns lebt, sie ihn aber regelmäßig sehen können.
Martins und meine Reportage über dein Land war ein Erfolg, wie du ja schon erfahren hast. Trotzdem kann ich jetzt auf Grund meiner privaten Situation nicht mehr in der Welt herumreisen. Ich schreibe aber freiberuflich Texte zu Fotodokumentationen für den Verlag, worüber ich sehr froh bin, eröffnet mir diese Arbeit doch ein wenig Freiheit von den alltäglichen Aufgaben.
Ich hoffe, ich habe dich mit diesem Brief nicht allzu sehr schockiert. Auf deine Tochter jedenfalls kannst du sehr stolz sein. Ich freue mich, dass ich sie habe, und empfinde meine kleine Deutsch-Australierin heute als großes Glück.
Alles Liebe,
Nora«
    Tom hatte den Brief mehrmals gelesen und minutenlang das Foto betrachtet, als könnte er auf diese Weise besser verstehen, was ihm da gerade widerfahren war. Unruhig hatte er schließlich eine Tür geöffnet und war auf die Terrasse gegangen. Wieder einmal sah er in die Ferne und überlegte. Sicher wusste er, dass er
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