Noch Viel Mehr Von Sie Und Er

spielt, und ich verstehe den alten Fritz dabei so, dass nur im Spiel der Mensch vergisst, dass er dazu verdonnert ist, von wem auch immer, seine Triebe mittels Intellekt zu kontrollieren. Im Spiel will er sich einfach verlieren, happy sein, Zeit totschlagen, ohne Anspruch, oder gewinnen, unfair sein, rumschreien, dicke blaue Adern an Hals und Schläfen produzieren, Mensch sein eben, denn in Wirklichkeit kontrollieren die Triebe das Gehirn, Wortschöpfungen wie »schwanzgesteuert« zeugen davon.
    Über die Wonnen eines Skatabends mit Freunden bei Bier und Brötchen müssen wir hier nicht reden, Doppelkopf ist noch schöner, birgt aber Gefahren, wenn der eigene Lebenspartner mit von der Partie ist, Scheiße baut und, was noch viel schlimmer ist, sich nach vergeigter Partie in der Regel beratungsresistent zeigt. Ein solcher Abend ist schon so gut wie gelaufen, in extremen Fällen die ganze Woche. Ähnliches gilt für Tennis, deswegen spricht man beim gemischten Doppel auch von »Tennis mit Behinderung«. Nun höre ich die Suffragetten wieder unisono aufheulen: Dieser Macho, hält alle Frauen für blöd, usw., usw. Nein! Eben nicht alle! Letztens speisten wir mit Freunden, ein Meeresbiologe, der über die Seegurke promoviert hat mit seiner Frau, also er hat nicht mit seiner Frau über die Seegurke promoviert, sondern sie war dabei, die Frau, nicht die Seegurke, obwohl, egal, wir saßen in einer kleinen Trattoria und bis zum Eintreffen der Vorspeise, Rucola mit hauchdünnen Birnenscheiben, Pfeffer, Salz, Olivenöl und Parmeggiano, spielten wir ›4 Ecken dichten‹, kennen Sie das?
    Jeder schreibt in die obere linke Ecke eines Blattes ein Reimpaar, meine Frau nimmt dann immer besonders abwegige Dinge wie: Saustier – Haustür, worüber wir dann regelmäßig Krach kriegen, aber egal, dann knickt man die Ecke ein, gibt das Blatt weiter und kriegt gleichzeitig eins vom Nebenmann. Da schreibt man in die rechte Ecke ein neues Reimpaar und so weiter. Am Schluss hat jeder vier verschiedene Reimpaare als Vorlage für ein zu erstellendes Gedicht. Meine Frau gewinnt meist, weil sie keinerlei Hemmungen beim Dichten kennt, ihre Reimpaare lauteten also: Laster/Raster, Rücken/Zwicken, Hose/Rose, Zecken/ Decken.
    Und da dichtete sie Folgendes: Infolge Rasens mit dem Laster, geriet er in das Fahndungsraster. Dazu kam, dass ihn auf dem Rücken, Furunkel und Abszesse zwicken, mit seiner Ollen namens Rose, ist schon ganz lange tote Hose, ihn stimulieren nur noch Zecken, die stecken in den Sofadecken. Damit war sie natürlich die Dichterfürstin des Abends.
    Der Reiz an dieser Form von Gehirnworkout ist, dass man nicht nur gegeneinander spielt, sondern auch gemeinsam einen geistigen Mehrwert schafft. Wann immer wir Zeit und Muße haben, tun wir das. Eine leichte, schnelle Form ist dabei das Sätzebilden aus Wörtern. Einer nennt ein Wort, z. B. Ostern. Jetzt kann man sagen, der Erste, der einen Satz bilden kann, dessen Wörter mit den Anfangsbuchstaben O,S,T,E,R,N beginnen, gewinnt. Beispiel: Onkel Sam trauert einer Ratte nach. Man kann auch spielen: Wer zuerst fünf Sätze hat, gewinnt. Auch hier besteht natürlich Konfliktpotenzial, was die semantische oder formale Korrektheit angeht. Ob seine Tante einen Russen nötigt? Hier kann es gleich das erste Geschrei geben. Also vorher festlegen, ob nur Aussage- oder auch Fragesätze gelten.
    Bei mehreren Mitspielern kann man durch Punktevergabe seitens der Spieler auch den jeweils besten Satz einer Runde prämieren: »Ohne seine Tüte erbricht Rudolf nicht«, dürfte da schon recht weit vorne liegen, wohingegen »Offenbar suchen tuntige Eichhörnchen rosa Nüsse« nur ein kollektives Aufstöhnen und null Punkte zu erwarten hätte.
    Ebenfalls ein Frohsinnsgarant ist der Satz, zu dem jeder nacheinander ein Wort beisteuert, wobei jeder Plan, den man hatte, als man sein Wort sprach, beim nächsten Beitrag schon Makulatur ist. Lesen Sie jetzt und staunen Sie: Zwei Originalbeispiele aus jüngster Vergangenheit, Koautorin ist wieder meine Frau, also sie ein Wort, ich das nächste Wort, dann wieder sie usw.:
    Am Arsch, den ich schon länger nicht geküsst habe, bilden sich langsam, aber sichtbar deutliche Furunkeln. Oder: Neben meiner behinderten, aber nymphomanen Schwägerin wirkst du, wie wenn Gott nach schwerer Krankheit seinen Schöpfungsplan aufgegeben hätte.
    Gemeinsames Herstellen von Gedichten ist und bleibt natürlich die Königsdisziplin. Beginnen Sie mit einer Aufwärmübung, indem einer