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Noch Viel Mehr Von Sie Und Er

Titel: Noch Viel Mehr Von Sie Und Er
Autoren: Juergen von der Lippe
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mich ins Auto und fuhr zum Parkplatz zurück. Dort holte ich die Kabel hervor und drückte sie dem Charming-Boy in die Hand, mit der Bemerkung: »Sie kennen sich sicher aus.« »Nee«, sagte er, »das hab ich noch nie gemacht.« Ich hielt die Situation einige Sekunden in der Schwebe, bis sich sein Vorurteil auf Taschenknirpsformat zusammengefaltet hatte, und legte dann los. Drei Minuten später summte sein Motörchen und er trällerte tausend Dankeschön. »Sind Sie Automechanikerin?«, fragte er noch. »Nein, ich bin nur Metzgerstochter«, antwortete ich zufrieden.
    Das verdammt unangenehme Gefühl, bei seinen eigenen Vorurteilen erwischt zu werden, kenne ich natürlich sehr genau. Ich hab mich ebenfalls schon als Idiotin geoutet, die einer benachteiligten Bevölkerungsgruppe auch noch Schlechtes nachdenkt. Bei einem Campingurlaub in der Knüste, wie man im Ruhrgebiet zu einer gottverlassenen einsamen Gegend sagt, schlug ein einarmiger Mann sein Zelt in etwa 300 Metern Entfernung von unserem auf. In der Nacht, meine Freundin und ich hatten das Licht schon gelöscht, kratzte es plötzlich merkwürdig am Zelt. Ich dachte, meine Freundin wollte ein kleines Horror-Späßchen mit mir treiben und habe total cool getan. Das Kratzen hörte trotzdem nicht auf. »Mein Gott, Bärbel«, sagte ich mit Ohren, die inzwischen auf Satellitenschüsselgröße angewachsen waren, »es reicht jetzt.« »Wieso«, sagte sie ängstlich, »ich dachte, du kratzt.« In diesem Moment hat mein Gehirn alle seine zwei Daten auf einmal gecheckt und ist zu dem Ergebnis gekommen, das kann nur der Einarmige sein. Bärbels Bio-Computer kam zum gleichen Ergebnis und schon rissen wir, adrenalingeschwängert und laut brüllend, unseren Zelt-Reißverschluss auf und flogen, mit Armen und Beinen gleichzeitig fuchtelnd, Kung-Fu-meisterlich durch die stockfinstere Nacht. Das Einzige, was fehlte, war unser auserwählter Übeltäter. Mit der Taschenlampe entdeckten wir später Nagelöcher im Zeltboden an der Stelle, wo unsere Vorräte lagerten. Eine Ratte hatte versucht, da ranzukommen. Der Einarmige kam erst am nächsten Morgen an unserem Zelt vorbei, um freundlich zu fragen, ob mit uns alles okay sei. Er habe in der Nacht Schreie gehört, sei extra aufgestanden, habe aber weit und breit keinen Grund zur Sorge entdecken können. Wir hatten diese Schreie natürlich nicht gehört, waren aber noch tagelang peinlich berührt, wenn wir ihn am Strand entlangmarschieren sahen.
    Überhaupt nicht peinlich dagegen ist mir mein Erlebnis mit einem ausländischen Mitbürger neulich an der Tankstelle. Er stieg aus einem alten Daimler, in dem noch vier Landsmänner saßen, und fragte mich etwas vollkommen Unverständliches. Fünfmal sagte ich ihm mit Engelsgeduld, dass ich ihn nicht verstehe, und jedes Mal wiederholte er im Stakkato seine Frage. Dabei wurde er obendrein immer ärgerlicher, ungeduldiger und lauter. Tut mir leid, sagte ich abschließend, fragen Sie den Tankwart, und wollte gehen. Da schrie er mich mit Armbewegungen, die ich auch nicht verstand, wütend an: Puff! Puff!! Aha, warum denn nicht gleich so, dachte ich, und damit er nicht auf die Idee kommt, deutsche Frauen hätten kein Verständnis für ein bisschen Spaß im Alltag – auch so ein blödes Vorurteil –, erklärte ich ihm den Weg haargenau. Ohne sich zu bedanken, brauste er mit quietschenden Reifen in die Richtung davon, die ich ihm gewiesen hatte. Ich war mir aber sicher, er würde es spätestens dann tun, wenn er auf dem landschaftlich schön gelegenen Bio-Bauernhof außerhalb der Stadt angekommen war.

ER Vorurteile
    Vorurteile, sagt die Psychologie, kommen unbewusst zustande, man kann gar nicht verhindern, dass unser Gehirn sich einen Durchschnitt aller Erfahrungen bezüglich einer Sache oder Person zusammenbastelt. Mit Erfahrungen sind natürlich vor allem Meinungsäußerungen des sozialen Umfeldes gemeint und selektiv wahrgenommene mediale Berichterstattung, die das vorläufige Urteil, denn das ist ein Vorurteil, zu stützen scheint. Wenn man also auf einen Friseur oder Flugbegleiter trifft, der nicht effeminiert wirkt, wird man sagen: Ja guck, Ausnahmen bestätigen die Regel.
    Vorurteile gehören zur psychischen Ökonomie. Das mentale Operieren mit Stereotypen vereinfacht, entlastet in der reizüberfluteten Informationsfülle.
    Menschen ändern ihre Vorurteile am wahrscheinlichsten, wenn sie anderenfalls Nachteile zu erwarten haben. Das Vorurteil: Alle Blondinen sind doof – kann ich ein Leben
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