Noch Viel Mehr Von Sie Und Er

mit ihrem neuen Freund. Da rutschte mir automatisch der Spruch heraus: »Ja, da hast du wohl den Kürzeren gezogen.« Hätte das mein Mann gesagt, wäre die rote Karte fällig gewesen und Annette jetzt meine Ex-Freundin, denn aus dem Munde eines Y-Chromosomenträgers wäre das in dieser Situation nur eine billige Zote, die der gebeutelten Frau keine Linderung verschafft, sondern nur in bester Primatenstellung den Fokus aufs eigene Glied lenken soll. Aus meinem Mund entband derselbe Spruch meine Freundin schnell und pointiert von jeder Verantwortung für das Scheitern der Beziehung durch Verlagerung des Problems auf eine biologische und somit unabänderliche Ebene. Das Sprichwort aus Frauenmund läutete sozusagen das Ende vom Glied ein. Ich fasse zusammen: Das Sprichwort – Aus Männermund bringt’s Leid und Tod, aus Frauenmund lindert es Not. Griffig. Annette ist übrigens heute sehr glücklich mit einem Wasserbauingenieur aus Kamerun.
    Die Crux mit Sprichwörtern ist, sie quatschen einem dazwischen. Man kann kaum etwas dagegen machen. Aufgesogen mit der Muttermilch leben sie in einem fort, hausen im Oberstübchen Tür an Tür mit der Familie Märchen, den Geschwistern Eselsbrücken und der Achhättichdoch-Sippschaft und verfehlen regelmäßig ihre Aufgabe, die User aufzufordern, mal in Ruhe über die eigene Blödheit zu sinnieren. Stattdessen neigen klugscheißende Männer dazu, sie wie Sprühwurst unter die Leute zu bringen. (Sprühwurst sagt man in Mülheim für Dünnschiss). Nur um Eindruck zu schinden, krönen sie selbst belangloseste Ereignisse – wie das Umfallen eines Kartoffelsacks – mit einer ihrer Binsenweisheiten Marke Karbon. Von solchen Daueranwendern lasse ich mich nicht mehr nerven und entgegne gerne: »Käme es auf den Bart an, könnte die Ziege predigen«, was mir zumindest eine kleine Verschnaufpause verschafft. Treffen allerdings in geselliger Runde zwei Sprichwort-Cowboys aufeinander, ist auch Hopfen und Malz verlorene Liebesmüh, denn die Krankheit des einen heilt nicht die des anderen. Feinsinnigere Zeitgenossen, z. B. Frauen, verwenden Sprichwörter eher selten, denn komplizierte Lebenszusammenhänge lassen sich mit ihnen nicht meistern. Nehmen wir z. B. mal: »Die Axt im Haus erspart den Zimmermann«. Wer kennt schon noch den Herrn von XY-Ungelöst? Und für die Botschaft: »Lieber den Einbrecher auf frischer Tat erschlagen, als ihn später mit ungewisser Aussicht auf Erfolg übers Fernsehen suchen zu lassen«, wird man hierzulande keine Lobby finden und in Amerika erst recht nicht. Da würden sie fragen: »Axt Alter? Ich raff es nicht. Noch nie was von Pumpguns gehört?« Das war ein Scherz. In Wirklichkeit ist der Spruch noch älter. Jesus nervte damit immer seinen unehelichen Vater Josef, weil der wollte, dass der Kleine mal die Schreinerei übernimmt. Aber Regale kommen heute von Ikea. Dass man beim Aufbau derselben manchmal selbst zur Axt mutiert, weil einige Schräubchen fehlen, steht auf einem anderen Blatt. Auch Sprichwörter über Pflanzen und Tiere müssen dringend upgedatet werden. ›Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer‹ hinkt der Realität doch ganz schön hinterher, seitdem das Klima kollabiert. In milden Wintern fliegen Schwalben gar nicht mehr weg, selbst wenn man in die Hände klatscht und ruft: »Habt ihr den Schuss nicht gehört?« Und die ganzen Leute, die reihenweise dem Flat-Saufen verfallen, die sticht doch sicher nicht der Hafer, sondern eher Gerste, Wacholder oder Weintraube.
    Amüsant und nützlich ist es in Zeiten der Globalisierung und Einwanderung, die Highlights an Sprüchen anderer Kulturen kennenzulernen. Vielleicht ist der neue Chef Ihres Unternehmens demnächst eine Chinesin. Wenn Männer bei der einen Blumentopf gewinnen wollen, müssen sie zeigen, dass sie mehr im Wok haben als saublöde Sprüche über Frauen, wie »Ein treuer Hund, ein treues Pferd sind mehr als tausend Weiber wert«. Vielleicht wird die mandeläugige Frau aus fernem Land männliche Leistungskompetenz eines Tages mit einem unergründlichen Lächeln und dem Spruch: »Am Fuße des Leuchtturms herrscht Dunkelheit« kommentieren. Dann, liebe Männer, könnt ihr ja getrost das Licht wieder mit dem Hammer ausmachen.

ER Sprichwörter
    Meine These: Am Kompendium der aktuellen Lieblingssprichwörter kann man Geschlecht und Alter der jeweiligen Person erkennen. Meine Sammlung ist z. B. typisch für einen lustigen, gebildeten, warmherzigen, männlichen gefühlten Endvierziger, denn man ist