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Noch Viel Mehr Von Sie Und Er

Titel: Noch Viel Mehr Von Sie Und Er
Autoren: Juergen von der Lippe
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Kassenwart in ihrem Kegelverein zu werden oder Schützenkönig, werden im Second Life enttäuscht. Nach einem Spaziergang durch diese schrille Kunstwelt findet man sein richtiges Leben wieder voll toll. Es ist doch wirklich spannender, samstags kurz vor Ladenschluss in Latex den Supermarkt heimzusuchen, um den Bestand an Kondomen aufzukaufen, oder am Montagmorgen mal nackt das Rathaus zu besuchen, um zu fragen, ob man immer noch gemeldet ist. Dem Spielen sind keine Grenzen gesetzt, und unsere Zockergene lauern wie Haifische auf ihre nächste Zwischenmahlzeit. Von Lotto und Bingo werden die nicht satt, aber schon beim ›Mensch ärgere Dich nicht‹ mit Rausschmeißpflicht riechen die Blut. Da wird sogar die mit 6er-Würfen gesegnete Schwiegermutter zum Leckerbissen. Glücklicherweise gibt es Spielregeln. Aber auch Verlieren will gelernt sein. Das fällt Männern nicht leicht, schon gar nicht gegen Frauen, denen sie nur Anfängerglück zutrauen. Stehen Frauen allerdings zum dritten Mal hintereinander im Endspiel einer Pokerrunde, nachdem sie vorher schon zweimal den Pot abgeräumt haben, werden Männer schwer nervös. So wie mein alter Freund Pedda, der beim Texas Hold’em plötzlich irritiert glaubte, meinem angeblöfften Fullhouse mit seinen zwei Pärchen unterlegen zu sein und deshalb die Karten schmiss. Dabei hatte er einen Vierling auf der Hand. Dachte er vielleicht an Stefan Raab, der Regina Halmich k.o. schlagen wollte? Reine Männer-Pokerrunden im Fernsehen mitzuerleben, ist für Frauen noch spannender als Wasser beim Tropfen zuzusehen: Stumme Konzentration paart sich mit absolut überhöhtem Siegeswillen. Dagegen sind reine Frauenrunden Spielfreude pur. Da hört man Scherze und anspruchsvolle Unterhaltung. Für Männer die Überforderung schlechthin, weswegen sie in gemischten Runden stets sämtliches ›Gequatsche‹ während des Spiels strikt untersagen wollen. Männer können sich einfach nicht vorstellen, dass beides auf einmal geht, und finden es bis heute unbegreiflich ungerecht, dass nicht die Klinsmannschaft, sondern die fröhlich aufspielenden Frauen Fußballweltmeisterinnen geworden sind. Bei den Zuguck-Spielen zeigt sich die unterschiedlich ausgeprägte Spielleidenschaft von SIE und ER besonders krass. Frauen sind ohne Weiteres in der Lage, über einen gelungenen Spielzug mit anschließendem Tor Freude zu empfinden, auch wenn er der gegnerischen Mannschaft gelungen ist. Nur zeigen sie es nicht, weil sie damit unter Umständen einen Blitzkrieg mit verheerenden Folgen für Ehe und Zukunftsplanung riskieren. Denn wenn Männer treu sind, dann nur ihrem Verein – und zwar mit Haut und allen verbliebenen Haaren. Ihre bodenlose Tristesse nach einem verlorenen Bundesliga-Abstiegsspiel ihrer Mannschaft ist mit Worten kaum noch zu beschreiben. Da wird dermaßen geheult und gesoffen, dass man meint, sie müssten ab sofort Kleider tragen und dürften nie wieder Auto fahren.
    Genau solche heftigen Gefühlsausbrüche wünsche ich mir regelmäßig vom Chef der Bundesbahn, und zwar bei jeder einzelnen Zugverspätung. Da macht uns doch einer seit Jahren zu unfreiwilligen Glücksspielern, die hoffen und beten, dass der angekündigte Zug zum richtigen Zeitpunkt kommt und wir den Anschluss nicht verpassen. Stattdessen stehen wir bei diesem öden Spiel auf dem Bahnsteig mit dem Gefühl herrum, statt teurer Fahrkarten Nieten in der Hand zu halten. Dabei hat man schon in der Grundschule begriffen, dass öffentlicher Verkehr ein besonders sensibles Thema ist und Wartezeiten in entsprechenden geschichtlichen Zusammenhängen auch schon mal zu Revolutionen geführt haben. Gingen Kondom-Hersteller mit ihren Produkten so fahrlässig um wie die Bahn mit uns Kunden, bekämen wir in Zukunft für eine fehlgeschlagene Verhütung allenfalls noch die Busfahrt zur nächstliegenden Entbindungs-Station bezahlt. Natürlich nur unter der Vorraussetzung, dass wir die letzten 264 Kondome in weiser Voraussicht der Beweispflicht, nach Datum und Uhrzeit sortiert, im Tiefkühlschrank dokumentenecht aufbewahrt haben. Wie der ›Herr der Züge‹ es dennoch schafft, nicht an eine Modelleisenbahn zurückversetzt zu werden, wäre eine schöne Quizfrage im Millionenbereich. Ich jedenfalls überlege jetzt schon immer vor jeder Bahnfahrt, wie viele Stunden früher ich am besten losfahre, um pünktlich anzukommen und ob es letztlich nicht besser wäre, mich als UPS-Paket zu versenden.

ER Spielen
    Schiller sagt, der Mensch ist nur ganz Mensch, wo er
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