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Noch lange danach

Noch lange danach

Titel: Noch lange danach
Autoren: Gudrun Pausewang
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Atommüll zwischengelagert wurde, bis man ein Endlager für den deutschen Atommüll gefunden haben würde.
    Wir haben noch immer keines!
    Und über die Betreiber der Atomindustrie zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts: Wie sie sich eifrig bemüht haben, die Gefahren der Atomkraftnutzung kleinzureden. Weshalb wohl?
    Ja, da müsst ihr natürlich lachen. Die Antwort auf diese Frage weiß inzwischen die ganze Welt.
    Und immer wieder haben Omi und ich über unsere Reaktorkatastrophe diskutiert. Warum alles so kommen musste.
    Die Generationen, die vor uns das Sagen hatten, hätten die Atomindustrie als viel zu riskant verbieten müssen! Hätten schon viel früher beginnen sollen, nach Möglichkeiten alternativer Energiegewinnung zu suchen! Wie viel Leid hätte vermieden werden können, wenn man mit der Nutzung der Kernkraft früher Schluss gemacht hätte! Denn es hat sich doch immer wieder gezeigt, dass der Mensch sie nicht im Griff hat!
    Ich soll mehr von mir erzählen, soll schildern, wie mein Leben aussieht? Aber meine Gedanken gehören doch auch zu mir! Was in meinem Kopf vorgeht und welche Gefühle mich bewegen, bestimmt oft das, was ich dann tue. Auch wenn ich mit meinem eigenen Leben anfange, werde ich doch immer wieder bei den großen Zusammenhängen landen.
    Solange Omi lebte, war’s für mich viel leichter. Sie hat Mama und mich umsorgt: hat an die Behörden geschrieben, hat eingekauft, die Mahlzeiten zubereitet, mit mir Hausaufgaben gemacht. War ich krank, hat sie sich um mich gekümmert. Sie hat Mama nie allein gelassen, wenn ich in der Schule war. Ich konnte mich unbesorgt auf den Unterricht konzentrieren.
    Mit zunehmendem Alter erstarrte sie nicht, verfiel nicht in Selbstmitleid und Kummer, sondern blieb neugierig und aktiv. Ich glaube, gerade deshalb hab ich sie so gemocht. Ich wollte immer so werden wie sie.
    Vor drei Jahren. Seitdem hängt alles an mir: der Haushalt, die Behördengänge, die Pflege meiner Mutter. Mag sein, dass ich daran gereift bin, wie meine Klassenlehrerin mal gesagt hat. Man stellt sich das immer so toll vor, erwachsen zu sein. Aber ich fühle mich oft sehr allein.
    Es schellt. Die Pause ist zu Ende. Ich schlage vor, wir bleiben noch hier, bis alle in ihren Klassen sind. Sonst geraten wir in den Trubel.

12
    Seit meinem vierten Lebensjahr sind meine Eltern geschieden. Mein Vater ist ausgewandert.
    Nach Patagonien.
    Ja, das ist ein Teil von eurem Land – und von Argentinien. Die Südspitze Südamerikas. Von dort, wo mein Papa jetzt wohnt, kann er am Horizont Feuerland liegen sehen.
    Weil ihm das Leben hier in diesem verstrahlten und immer ärmer werdenden Land keine Chancen bot. Und weil es dort weit und breit keine Atomkraftwerke gibt.
    Ein einziges Mal. Aber nur zu einem kurzen Besuch. Da war ich dreieinhalb Jahre alt und hab mich vor dem fremden Mann gefürchtet. Vor allem, weil seine Wange so gekratzt hat. Ich war ja keine kratzigen Männerwangen gewöhnt. Seine Gesichtszüge habe ich mir damals nicht gemerkt. Als ich dann in die Schule ging, bekam ich mit, dass die meisten meiner Mitschüler einen Vater daheim hatten. Ich dagegen musste immer sagen: „Meiner ist weg.“
    Da habe ich Mama nach einem Foto von ihm gefragt. Sie schüttelte nur den Kopf. Omi verriet mir später, Mama habe die Fotos, auf denen er zu sehen ist, versteckt.
    Doch. Zu meinem zehnten Geburtstag hat er mir eins geschickt. Seitdem weiß ich, wie er aussieht.
    Moment mal. Ja, es fängt an zu regnen. Und wie! Jetzt muss ich erst schnell Gefäße aufstellen, damit es keine Pfützen auf den Möbeln oder auf dem Fußboden gibt. Die hinterlassen hässliche Flecken. Wartet hier auf mich. Ich bin gleich wieder da!
    Ihr wollt mir helfen? Na toll! Nehmt ein paar Plastikeimer und Plastikwannen von denen dort drüben mit. Die stammen von einer Spendenaktion. Ich glaube, sie kamen aus Frankreich.

13
    So, das wäre geschafft. Danke für eure Hilfe!
    Grau in grau, der ganze Himmel.
    Die Gummischürzen? Die binden wir uns bei solchen Arbeiten immer um. Denn dabei wird man leicht nass, und das Wasser, das durchs Dach kommt, ist meistens nicht sehr sauber. Mit der Schürze schonen wir unsere Hosen, T-Shirts oder Kleider. Denn die meisten von uns haben nicht viel anzuziehen.
    Ich? Ich habe nur zwei Hosen, vier T-Shirts und ein Kleid. Das heißt, außer diesen Jeans, die ich geschenkt bekam, habe ich nur noch eine Stoffhose. Von den T-Shirts ist nur ein einziges so, dass ich mich darin wohlfühle. Ein anderes ist schon
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