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Noch einmal leben

Noch einmal leben

Titel: Noch einmal leben
Autoren: Robert Silverberg
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Gesetzes Einspruch erhoben, das jeden Bürger vor Selbstanschuldigung bewahrte. Der Einspruch wurde abgewiesen, denn das Gesetz der Geistesuntersuchung ließ sich dadurch nicht umstoßen. Roditis hatte sich fügen müssen. Seine Mittäterschaft beim Mord an Martin St. John stand danach außer Zweifel.
    Die Verteidiger gingen zu einer neuen Taktik über. Die Anwälte behaupteten, Roditis und Noyes wäre die Zerstörung des St.-John-Körpers zuzuschreiben, aber eigentlich gebe es doch keine geschädigte Partei, denn St. John hätte den Körper zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr besessen. Der einzige Bewohner des Körpers, das Bewußtsein von Paul Kaufmann, war gesetzlich ebenfalls tot. Daher konnte er auch nicht ermordet worden sein.
    Dieses Argument ließ sich nicht leicht von der Hand weisen, die Richter hatten es schwer. Auch Santoliquido blieb keineswegs ungeschoren, war er doch für die vorsätzliche Erschaffung eines Dybbuks verantwortlich. Es wurde ein Urteil gegen Roditis gefällt. Doch lautete die Anklage nun nicht mehr auf Mord, sondern auf Verstoß gegen die guten Sitten im schlimmsten Grade. Der Urteilsspruch lautete folgendermaßen:
    - Aberkennung aller bürgerlichen Ehrenrechte.
    - Zwangsweise Löschung aller John-Roditis-Aufzeichnungen im Scheffing-Institut.
    - Löschung aller Fremdidentitäten, die John Roditis im Moment trug. Rückverlagerung derselben in die Seelenbank zur Neuvergabe an andere Träger.
    - Fünf Jahre Korrektivtherapie, darin (im Bedarfsfall) eingeschlossen eine totale Reorientierung der Persönlichkeit des John Roditis, um alle Aggressionen abzubauen.
     
    „Damit ist er erledigt“, sagte Mark zu seiner Tochter, als das Urteil verlesen worden war. „Er verläßt die Therapie als gebrochener Mann – höflich und freundlich zwar, aber ohne Energie, Elan und Tatendrang. Ein liebenswürdiger Niemand. Ein Nichts. Eine leere Hülle.“
    „Das kommt mir so verschwenderisch vor“, sagte Risa. „Diese Arbeitskraft, diese Energie einfach wegzuwerfen …“
    „Er war zu gefährlich, Risa, man konnte ihn so nicht tolerieren. Er besaß eine gewisse Größe, das gebe ich zu, aber seine Ambitionen wurden in keinster Weise von moralischen Grundsätzen gesteuert. Der Mann hatte keine Hemmungen.“
    „Und wie ist das bei dir? Und bei Onkel Paul?“
    Kaufmann sah sie scharf an. „Wir besitzen unsere Familientraditionen. Wir wissen, was ehrwürdig ist. Roditis war dagegen nur ein wildes Raubtier. Jetzt wird er gezähmt. Es gibt keinen Vergleich zwischen einem Roditis und einem von uns, Risa. Keinen.“
    Risa hatte da ihre eigenen Ansichten. Aber sie wollte ihren Vater jetzt nicht verärgern. Trotzdem war sie der Meinung, der Unterschied zwischen dem besiegten, ausgeschalteten Roditis und dem strahlenden Sieger Mark Kaufmann war mehr eine Frage von Glück und weitreichenderen Beziehungen, als eine von Ehre und Herkunft. Der Grieche hatte sich übernommen, der Jude hatte ihn vernichtet. Marks Methoden waren dabei kaum weniger zimperlich gewesen, auch wenn er keinen Mord begangen hatte.
    Roditis verschwand hinter den festungsartigen Mauern des Belle Isle Sanatoriums, wo er eine Korrektivtherapie bekam. Nie wieder würde der alte John Roditis als vitale und gerissene Persönlichkeit in der Öffentlichkeit gesehen werden. Bei seiner Entlassung, die noch einige Jahre in der Zukunft lag, würde er immer noch ein reicher Mann sein; aber gleichzeitig eine ambitionslose, lächelnde Ruine, die den Entscheidungen der vom Gericht bestellten Treuhänder seines Vermögens ausgeliefert war.
    Eine ungeheure Verschwendung von Dynamik, entschied Risa.
    Vielleicht konnte man eine solche Vergeudung irgendwie verhindern, überlegte sie.
    Am heißesten Tag im Juli, kurz nach der Verurteilung von John Roditis, landete Risa ihren Gleiter auf dem Angestelltenparkplatz des Scheffing-Instituts. Geschickt ließ sie sich in einer Lücke nieder und eilte über die glühendheiße Stahlbetonfläche. Es war fünfzehn Uhr, die erste Technikerschicht hatte Feierabend.
    Im Gebäude marschierte Risa zum erstbesten Telefon und verlangte einen bestimmten Techniker zu sprechen. Kurze Zeit später erschien sein Gesicht auf dem Bildschirm.
    Er machte einen verblüfften Eindruck.
    „Hallo, Leonards, erinnern Sie sich an mich?“
    Er war ein junger, blasser und gutaussehender Mann mit Lachfältchen um die Augen. Er befeuchtete die Lippen. „Miß, äh, Kaufmann?“
    „Richtig, Leonards. Sie dürfen nach vorne kommen und sich
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