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Noch einmal leben

Noch einmal leben

Titel: Noch einmal leben
Autoren: Robert Silverberg
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herausfinden. Aber schon nach dem ersten Tag ihrer Rückkehr hatte sie es vermieden, weitere Verdächtigungen von sich zu geben. Mark hatte keine Ahnung, was hinter der glatten Maske von Risas Gesicht vor sich ging. Aber irgendwie glaubte er, daß sie die Wahrheit wußte.
    „Ich bin gekommen, um über Geschäfte zu reden“, verkündete Risa.
    „Über welche Geschäfte bitte?“
    „Über grundsätzliche Geschäfte. Ich möchte einen Überblick über die Besitzungen der Familie. Was haben wir wo, auf wessen Namen, welche Anteile entfallen auf wen?“
    Kaufmann nickte. „Vermutlich ist der Zeitpunkt schon überfällig, wo wir zwei uns mit diesen Dingen einmal beschäftigen. Will sagen, du solltest weit mehr mit unseren Aktivitäten vertraut gemacht werden. Damit du vorbereitet bist, wenn du mal an die Reihe kommst, den Laden zu übernehmen. Die Welt der Wirtschaft scheint dich mächtig zu interessieren, was, Risa?“
    „Ja, das weißt du doch. Und jetzt, wo Roditis nicht mehr mitspielt, sollten wir unseren nächsten Zug machen, Mark. Ich würde gerne stärker in sein mittelamerikanisches Elektrizitätsnetz-Imperium einsteigen. Ich habe mir darüber auch schon Gedanken gemacht: wir könnten Roditis’ Treuhänder unterlaufen, wenn wir die Gesellschaft übernehmen, die die Hochspannungsmasten herstellt. Und dann …“
    „Hast du dich erkältet, Risa?“
    „Wieso?“
    „Deine Stimme hört sich so merkwürdig an, viel tiefer und rauher.“
    Sie schüttelte den Kopf. „Das liegt wahrscheinlich an Tandys Einfluß. Sie muß eine gediegene Altstimme gehabt haben, und sie bemüht sich jetzt, meine Stimme auch auf dieses Niveau zu bringen. Du weißt doch, wie die Fremdidentitäten ihre Wirte überall ein wenig beeinflussen, ihnen gewisse Verhaltensweisen …“
    „Ja“, sagte Kaufmann rasch. „Das weiß ich.“
    „Na prima, dann also weiter im Text. Wenn wir diese Mastengesellschaft in die Hand bekommen, haben wir das Roditis-Imperium wie zwischen Scylla und Charybdis gefangen. Und …“
    „Zwischen wem und was?“
    „Scylla und Charybdis“, wiederholte sie ungeduldig. „Das Ungeheuer und der Felsenschlund. Zwölftes Buch der Odyssee. Von Homer.“
    „Doch, das kenne ich. Ich wußte nur nicht, daß du dich einmal mit Homer beschäftigt hast, Risa.“
    „Jeder zivilisierte Mensch sollte einmal Homer gelesen haben“, sagte sie. „Hat es jemals einen bedeutenderen Poeten gegeben? Jemals einen mit einer lebendigeren Phantasie? Noch heute können wir manches von ihm lernen.“ Risa lachte verlegen. „Aber jetzt wieder zurück zu unseren Hochspannungsmasten. Paß mal auf, folgendes schwebt mir vor …“
    Mark beobachtete, wie seine Tochter mit raschen und geschickten Strichen auf einem Block das Schema einer ausgeklügelten Holdinggesellschaft konstruierte. Aber er konzentrierte seine Aufmerksamkeit nicht auf ihre Finanzierungspläne. Ein plötzlicher unmöglicher Gedanke ließ ihn frösteln. Er wollte es nicht glauben.
    Homer? Holdinggesellschaft? Hochspannungsmaste?
    Die tiefe Stimme?
    Nein, dachte er, das ist unmöglich. Sie würde nie – so etwas könnte sie doch gar nicht …
    Von irgendwo ganz tief in seinem Innern ließ Onkel Paul lautlos ein brüllendes Gelächter vernehmen.
    - Unverhofft kommt oft, Mark.
    In Gedanken stimmte Mark zu. Er beobachtete heimlich Risas Gesicht und suchte nach Anzeichen und Beweisen, einer Bestätigung seines merkwürdigen und erschreckenden Verdachts. Sollte er sich bewahrheiten, so hatte eine neue, unüberwindliche Kraft Eingang in die Familie gefunden. Alle Pläne mußten daraufhin neu überdacht werden. Aber das konnte ja gar nicht sein. Es konnte einfach nicht wahr sein. Es durfte nicht wahr sein.
    „So, das hätten wir“, schloß Risa. Sie schob ihrem Vater den Block zu. „Was hältst du davon, Mark? Wie findest du meinen Plan?“
    „Ich muß mir das mal in Ruhe ansehen“, sagte er vorsichtig. „Aber ich halte ihn einer näheren Prüfung wert. Wenn wir uns Roditis’ eigenen Verstandes bedienen können, um einige Brocken aus seinem Besitz herauszuschneiden, warum sollten wir dann zögern?“
    Risa grinste. Sie zeigte auf das finstere, nachdenkliche Porträt Onkel Pauls, das hinter Marks Schreibtisch an der Wand hing. „Ich glaube, ihm würde die Idee gefallen. Wahrscheinlich würde sich der alte Hai sehr darüber amüsieren. Vielleicht wäre er auch ein bißchen stolz auf mich, oder sogar ein bißchen eifersüchtig.“
    „Das ist er“, sagte Mark Kaufmann und
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