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Nizza - mon amour (German Edition)

Nizza - mon amour (German Edition)

Titel: Nizza - mon amour (German Edition)
Autoren: Fritz J. Raddatz
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sich viele Legenden. Es habe schon 1913, als der rumänische Violinspieler Henri (Heinrich) Negresco den Palast mit 420 Zimmern eröffnete, sieben gekrönte Häupter beherbergt, und noch 2008 führte die Allein-Eignerin Jeanne Augier auserlesene Gäste zu ihrer Kunstsammlung, etwa den Teppichen von Raymond Moretti; die Kuppel des »Salon Royal« wurde von Gustave Eiffel entworfen, und Madame achtet peinlich darauf, daß die geliebte venezianische Maske auch ordentlich in Zimmer 86 hängt. Doch das Hotel verkam im Laufe der Jahre. Als die Mutter von Madame Augier nach einer Operation gelähmt war, fand sich nur in dem alten Palast ein Lift, der groß genug für den Rollstuhl war. So kauften Madame Augier und ihr Mann 1957 gleich das ganze Hotel – damals führte der Haupteingang noch nicht auf die zu sonnige Promenade des Anglais; elegante Menschen waren früher blaß, sonnengebräunt eher die Bauarbeiter. Heute hat sich das Haus gleichsam gedreht, der ehemalige Eingang auf der Rückseite zeigt Klingelschilder von bescheidenen Appartements, geprotzt wird nach vorne raus. Aber ob damals oder heute – die Liste der erlauchten oder wenigstens prominenten Gäste ist lang: von Präsident Eisenhower über die rabaukigen Rolling Stones und Elton John, der ein eigenes Zimmer für seine 300 Brillen buchte, bis zu weiland Salvador Dalí mit seinem Begleiter, dem Jaguar, an der Leine. Heutzutage gilt Meeresblick, möglichst vom Dachgarten, und noch immer gilt ungebrochen der Stolz der Besitzerin: Auch kaufsüchtige Liebhaber des Hauses weist sie ab – einen Blankoscheck von Bill Gates schickte die knapp 90jährige Herrin ungenutzt zurück. Die alte Dame kann auch recht wehrhaft sein. In einem emphatischen Gespräch mit dem Bürgermeister protestierte sie gegen den geplanten Bau einer Straßenbahn vom Flugplatz entlang der Promenade des Anglais. Sie, die ihr Hotel für ein Wahrzeichen wie den Eiffelturm hält, schrie den Chef der Stadtverwaltung an, das bedeute den Tod aller anliegenden Hotels, schließlich verunziere man auch nicht die Champs-Élysées mit einer Straßenbahn, und sie scheute sich nicht, ihre Tirade mit Argot-Vokabeln wie »fric« (= Zaster) zu verzieren.
    Dergleichen ausgeschmückte Fabeln ließen sich auch nachspinnen vom leicht protzigen, allerdings mit schön restaurierter Art-déco-Fassade prunkenden Hotel »Palais de la Méditerranée«, das Klaus Mann schon 1931 verspottete. Doch die »Promenade« ist keine Promenade mehr (als welche Bilder aus dem 19. Jahrhundert sie noch zeigen), sondern eine vier-bis sechsspurige Schnellstraße, erfüllt von ohrenbetäubendem Hupen und dem Krach schwerer Motorräder, auf denen die Franzosen ihrer Vorliebe für motorjaulende Raserei freien Lauf lassen; die Bewohner der diese Rennstrecke säumenden seelenlosen (dafür überteuerten) Wohnkästen müssen ausnahmslos taub sein.
    Überhaupt der Autoverkehr: eine Olympiade der Lebensmüden, Rücksichtnahme allenfalls beim Einparken oder beim Nichtbeachten kleiner Lackschrammen; ansonsten herrscht der blanke Horror, dem allein in den ersten Monaten des Jahres 2007 insgesamt 25 Fußgänger zum Opfer fielen; im 1. Halbjahr 2008 zählte man 18 Verkehrstote, und im selben Zeitraum wurden vom Radar 430000 Geschwindigkeitsüberschreitungen gemessen. Blinken ist offenbar polizeilich verboten, aber wenn links geblinkt wird, heißt das garantiert, der Wagen biegt nach rechts ab. Sausend wird rechts überholt, in den vielen Tunnels oberhalb von Nizza möglichst ohne Licht; die häufig schwer verunglückenden Motorrad-Jetpiloten führen vollends staunenswerte Tango-Tänze auf: links vorbei, rechts vorbei, in Schlangenlinien die Autos umknatternd, deren Fahrer einem ihrerseits wütend das Fernlicht in den Rückspiegel blenden, fährt man ihnen nicht schnell genug: auf der Autobahn »nur« 160 km/h (120 sind erlaubt). Auf der kurzen Strecke Nizza–Cannes bin ich bereits einer Ohnmacht nahe, und mir scheint, die vielgescholtenen Teutonen sind, verglichen damit, mit dem Tretroller unterwegs. Fußgänger am Zebrastreifen reagieren entsetzt bis hin zum Kopfschütteln oder zu einem erstaunten Dankesgruß, hält man den Wagen an – das ist für sie ungewöhnlich und hier fast unbekannt; normalerweise riskiert sein Leben, wer einen Zebrastreifen betritt. In jedem Fall muß man sich klarmachen, daß Nizza ein lärmiger Hexenkessel ist. Im Sommer 2008 lautete die Balkenüberschrift der Lokalzeitung: »Der Krach bringt die Einwohner mehr und
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