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Nizza - mon amour (German Edition)

Nizza - mon amour (German Edition)

Titel: Nizza - mon amour (German Edition)
Autoren: Fritz J. Raddatz
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wurden und noch immer werden. Läge da nicht eine linkisch beschriftete kleine Holztafel (deutscher Besucher?), »Unvergessen«, beschwert mit ein paar Steinen für den Halbjuden, und ein verwelktes Sträußchen, es käme einen das Grausen an. Es kommt einen an. Ein Exilant noch im Tode.
    Nizza ist einmalig in Europa, hat Nietzsche gesagt, der ihm »einen bestimmten africanism« bescheinigte und hier (1887) an vier aufeinanderfolgenden Tagen vier Aufführungen von Bizets Oper »Carmen« besuchte, die er so sehr bewunderte. So gleicht auch der Versuch, Nizza in Buchstaben zu bannen, dem Ausschöpfen des Mittelmeers mit einem Sieb; da hängt Tröpfchen für Tröpfchen am Schreibgerät, manches schimmert und funkelt, manches rinnt faul und fade; das Ganze packen, das kann nicht gelingen. Zumal der Ort, wie jede größere Stadt, sich rasend schnell verändert: Ein Schrottabladeplatz wird quasi über Nacht ein kleiner Olivenpark, das wunderbar unterhalb der Straße nach Villefranche gelegene »Hotel Palais Maeterlinck«, einst Sommersitz des Nobelpreisträgers und Schöpfers des Schauspiels »Pelléas et Mélisande«, trägt plötzlich ein Schild »Résidence«. Aber die früher heruntergekommene Place Masséna ist großartig neu angelegt samt sich hoch hinaufspielendem Springbrunnen. Nizza ist so unbeständig und wechselhaft wie das Meer: Mal spiegelnde Glätte, mal gischtende Brandung, so hat auch die Stadt ihre eigenen Gezeiten; sie ist so verlockend, so stachelig, so duftend, so farbprächtig wie jene schon lüstern und neidvoll bewunderten »Plateaux Crustacés« voll kleiner Muscheln und großer Krebse, meeresblanker Austern und schwarzhachelig verschlossener See-Igel, von den zartrosa Fühlern der Langusten umfangen, mit Seetang garniert.
    Beim Beschreiben erst merkt der Berichterstatter, was alles er leichtfertig übergangen hat: das Theaterchen mit dem aparten Namen »De L’Alphabet« oder das asiatische Museum, das sich in einer Art Robert-Wilson-Schick mit weißen Ledersofas, poliertem Marmor und derartig spiegelnden Glasvitrinen präsentiert, daß der 22armige Buddha oder bengalische Kostbarkeiten kaum zu erkennen sind; aber auch das »Palais Lascaris«, ein inmitten des Gassengewirrs vom »Vieux Nice« gelegener Palast aus dem 17. Jahrhundert, dessen Familien-(gleich Besitzer-)Geschichte so aufregend ist, wie die gut restaurierten Räume es sind mit ihrem »zivilen Barock«, bis zu herrlichen Deckengemälden oder der Dokumentation über Jazz in Nizza, schon 1919 von den damals 150000 amerikanischen Soldaten eingeführt und von Boris Vian 1948 zu dem Höhepunkt des 1. Internationalen Jazz-Festivals der Welt gebracht.
    So möge Nizza mir verzeihen, wenn ich so manche altersfaltige Kirche (wie die Kapelle »Misericorde« mit ihrem schlechterdings betörenden, wenngleich etwas zu schmuck restaurierten barocken Farb-und Formenspiel) nicht erwähnt, kleiner Sonderbarkeiten wie des »Boulevard Stalingrad« (der geradenwegs in den »Boulevard Walesa« übergeht) nicht gedacht, viele der jugendbeschwingten Clubs nicht besucht, gern frequentierte Restaurants nicht genannt habe. Auch das kleine Märchen von der »Fête du Citron« im 20 Autominuten entfernt gelegenen Menton habe ich nicht erzählt, wo inmitten des Ortes ein zehn Meter hohes Pferd aus Zitronen in den Februar hineintrabt.
    Es gibt ja jene Fee, Eroïna nissarda, auch »Volksheldin« genannt, namens Catherine Ségurane; sie gilt als Schutzpatronin Nizzas, das sie 1543 vor der Belagerung durch die Türken gerettet haben soll, indem sie – eine einfache Waschfrau – die Bevölkerung in die Schlacht geführt und den feindlichen Standartenträger mit einer Schaufel bewußtlos geschlagen habe; ihre Existenz wurde nie bewiesen – aber noch heute ist sie in Nizza hoch verehrt: Jedes Jahr am 25. November wird der Catherine-Ségurane-Tag gefeiert. Unter den Schutz dieser unirdischen Ikone stelle ich mich mit all meinen Sünden der Übertreibungen, Auslassungen, Beobachtungen voll falscher Zeugnisse und wahrhaftiger Hymnen. »Dieu me pardonnera, c’est son métier«, soll Heinrich Heine an seinem Ende gesagt haben. Und Vergebung ist auch das Metier einer Fee. Denn das Licht, das die Maler verzauberte, ist ja nicht dingfest zu machen, die Beschwingtheit, die Schriftsteller besangen, nicht zu imitieren. Atmosphäre ist wie Glück – man kann nur versuchen, es zu erhaschen. »Revenez« heißt das letzte Wort jenes Gedichts am Turmeingang vom Schmetterlingsmuseum
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