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Nizza - mon amour (German Edition)

Nizza - mon amour (German Edition)

Titel: Nizza - mon amour (German Edition)
Autoren: Fritz J. Raddatz
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der Anwohner des eleganten Viertels Cimiez, weil wegen genau dieser Straßenbahn der umgeleitete Autoverkehr das stille Quartier zur Lärmhölle macht. Darüber lassen sie sich auch nicht durch eine skurrile Idee hinwegtrösten: Der Künstler Ben hat für jede Haltestelle einen Denkspruch erfunden, der dort nun weiß auf schwarz ermahnt »La gloire, c’est du boulot« (Ruhm ist harte Arbeit) oder auch nur »Souriez« (Lächeln Sie); eben begrüßt man die Modernisierung der bislang zwar charmanten, aber oft auch verkommenen Marktstände, die unmittelbar neben Fischköpfen Kopfkissen feilboten – da sieht man empört, daß der alte provenzalische Bahnhof inzwischen bis auf die wacklige Fassade endgültig abgerissen wurde, »ein für die ›capitale azuréenne‹ unwürdiger Skandal«, wie das Lokalblatt wütet; eben entzückte einen noch die romantische Spazierfahrt in die Berge hoch hinauf nach l’Escarène – da liest man in der Zeitung, daß die Polizei in einer eher einem Verschlag als einer Behausung ähnlichen Baracke bei einer 60jährigen Frau 22 Hunde gefunden und sichergestellt hat, die dort sehr unromantisch unter unbeschreiblich barbarischen Umständen in kaninchenstallähnlichen Gatterkäfigen – ohne irgendeinen Auslauf – gehalten wurden; eben hat man sich mühsam jenen beschwerlichen »Sentier Frédéric Nietzsche« genannten Weg neu erwandert, der steil wie ein Ziegenpfad sich von Èze-Village hinabschlängelt – »il piccolo santo«, wie die Einheimischen den Philosophen nannten, verbrachte ja die Winter zwischen 1883 und 1888 in Nizza, wo der dritte Teil seines »Zarathustra« entstand –, da schimmert zwischen Pinien tief unten in der dünner werdenden Januarsonne quecksilbern das Meer, und weit weg grüßt von der Kuppe des Mont Boron das Fort von Vauban, dessen verfallene Türme noch gedeckt sind mit jenen Nizza-typischen farbig glasierten Dachziegeln, festliche Hauben faltig gewordener Bauersfrauen – da: ja, was?
    Ein Otto Dix müßte man sein, ein George Grosz, wollte es einem gelingen, die vielen Gesichter der Stadt zu bannen, oft zaubrisch lächelnd, dann grimassierend, verführerisch lockend und abstoßend wie jene »Frau Welt«-Bilder mittelalterlicher Künstler. Unvergeßlich ist mir ein Augenblick, der das alles sinnbildlich zusammenfaßte. Da stand ich auf dem Friedhof bei Roquebrune über Menton, vor einem jüdischen Grab mit den Steinen darauf, gleich daneben ist Le Corbusier bestattet, seine Grabstätte so streng und linear wie seine Architektur – und darüber, leicht und heiter, schwebte das Leben: Als seien es die Engel, die die Seelen der Toten ins Firmament entführten, glitten zum Greifen nah Drachenflieger durch die Lüfte, junge fröhliche Menschen voller Kraft und Zukunft schwangen sich über Tod und Verwesung hinweg, spielten sich ins Leben hinein.
    Gleichwohl war es bitter zu sehen, wie vernachlässigt das Grab des Weltberühmten dalag. Es mag sentimental sein, und auch ich weiß, daß ein Toter von schönem Blumenschmuck nichts mehr hat. Aber es schnitt mir doch ins Herz – so, wie ich vor dem Grab von Klaus Mann in Cannes stand, linkisch eine Rose in der Hand. Hier liegt nun – es heißt, dies sei der größte Friedhof Südfrankreichs, er wurde 1865 erbaut und erhielt seiner immensen Ausmaße wegen im Volksmund den Namen »Le Grand Jas« (der große Schafstall) –, hier also liegt nun Thomas Manns ältester Sohn, ein brillanter Geist, ein Elegant, der sich in den Salons von André Gide oder Cocteau so selbstverständlich bewegte wie früh schon an dieser Riviera, an der er sich mit nur 42 Jahren das Leben nahm; ein äußerlich betrachtet verwöhntes Leben im Schatten väterlichen Ruhms und in der Sonne mütterlichen Wohlstands, gut aussehend noch, als ich ihn 1948 in Berlin kennenlernte und ein wenig mehr als bewunderte; zeitlebens war er eingehüllt in den schwarzen Mantel homosexueller Einsamkeit und zerstörerischer Drogen. Ein altes Foto zeigt noch einen sorgsam gestalteten Grabstein, auf dem unter dem vollen Namen Klaus Heinrich Thomas Mann in englischer Sprache aus dem Lukasevangelium geschrieben steht »For Whosoever will save his life shall lose it But Whosoever will lose his life the same shall find it«.
    Davon ist heute an dem »modern« gestalteten Grab nichts mehr zu sehen. Das banale Marmorgrab ist lieblos: ein paar Kunstblumen für ca. 3 Euro – das ist der verzweifelte deutsche Emigrant den Verlegern wert, die am Werk seines Vaters reich
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