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Nizza - mon amour (German Edition)

Nizza - mon amour (German Edition)

Titel: Nizza - mon amour (German Edition)
Autoren: Fritz J. Raddatz
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»Hinterland«. Da gibt es ein schweigendes Bergnest – Peille – aus dem 12. Jahrhundert, 20 Kilometer von Nizza entfernt, die Dächer tiefgezogene Zipfelmützen, die Gassen mittags ausgestorben. In den Gärten stürzen im Mai die Trauben der blühenden Akazien wie weißer Wein aus dem Laub, und wenn der Zufall es will und es ist der 8. Mai – noch immer ein wichtiger Gedenktag in ganz Frankreich –, greift jene Beklommenheit nach dem deutschen Gast, der noch vor kurzem diese Plakette zum Gedenken an Louis Aragon sah und sich seines Gedichts aus dem Mai 1941 erinnerte; denn hier oben, in der von dornigen Büschen überwucherten Bergwelt, hausten auch die Résistance-Kämpfer im Maquis-Gehölz, nach dem sie sich nannten. Zugleich liest man in dem Dörflein eine andere Steintafel, die an den König von Aragon erinnert, dem der Flecken und die Umgebung bis weit nach Monaco hin einst gehörte. König Aragon, Dichter Aragon – französische Geschichte.
    Auf lustigere Weise feiert man hier zur Karnevalszeit. Da verkleiden sich die Bergbauern als dickbusige, bärtige Hexen und stämmige Bauersfrauen als reisige Ritter mit Brünne über dem Geblümten. Sie biegen um die Ecken der engen Gassen, die scheppern vom begeisterten Gekreisch der ausstaffierten Kinder, johlend vor den selbstgebastelten Pappdrachen und gefiederten Holzschlangen auf den Rädern von Kaminholz-Karren. Manch Ungetüm, illuminiert von Kerzen in Bauch und Schlund, wird aus lattengesicherten Ställen und Verschlägen hervorgezogen, geschubst, gezerrt. Ein ganz unverhohlenes Fest von Freude, Jauchzen und Übermut. Es erinnert ein wenig an die simple kleine Oktober-Prozession, wenn »SainteRéparate«, eine Heilige von Nizza (nach der auch die Kathedrale getauft ist), mit einem anspruchslosen Volksfest hervorgeholt wird, getragen und umtanzt von jungen Menschen in provenzalischen Kostümen. Sehr verschieden von jenem Karneval unten in Nizza, der unergründlicherweise erst Mitte Februar beginnt und eine Pappmaché-Abzocke der Touristen ist. Keinesfalls ein Volksfest. Hinter Absperrungen, sogar Sichtblenden, damit kein unbezahlter Blick auch nur eine der fröstelnden Prinzessinnen im Plunder-Fiffi erhasche, werden eher phantasielos-bombastisch herausgeputzte Wagen die Straßen entlanggezogen. Sie erzählen kein Märchen, sie zählen das Geld: 25 Euro für einen Tribünenplatz entlang der Promenade des Anglais. Die armen Kinder – die Mädchen, die ratlos in ihren niedlichen Plusterröcken, die Jungens, die mit Buntkreide bemalten Gesichtern und Pappschwertern mitspielen möchten –, die sind nun aufmüpfige Zaungäste, weil der Eintritt zur Kavalkade ihnen verwehrt wird, zahlten die Eltern nicht (es gibt nur ganz wenige enge Schlupflöcher); sie hören von ferne das lockende Tschingderassabum, aber sie sehen den Karnevalskönig unter seiner wippenden Krone nicht und nicht den feuerspeienden Drachen. Für leichte, heitere Freude, für Spiel und Tanz ist das durch Hunderte Polizeiautos gesicherte Zählspiel nicht gedacht. Ein Volksfest ohne Volk. Anderes Volk aber kommt aus Polen, Bulgarien und Neustrelitz in klimatisierten Bussen. Ein endloser Flüchtlingstreck, weg aus den Autowerkstätten von Warschau, aus den Amtsstuben von Sofia, den Piep-Piep-Kassen des Supermarkts der Uckermark – hin zum Defilee der Kommerzromantik mit elektrischen Kulleraugen. Das Portemonnaie muß gezückt werden. Entzückend ist das nicht.
    Wie schön ist dagegen eine Wanderung zur selben Jahreszeit durch die Mimosenwälder von Tanneron; das liegt nur eine halbe Autostunde von Nizza entfernt bei Mandelieu, oberhalb von Cannes. Wenn Feuer schäumen könnte: Ein gelber Feuerschaum zieht sich die Berge hinauf, soweit das Auge reicht. Man ist eingehüllt in den schweren Duft der Mimosen, wenn man die schräg zum Berg hin angelegten Wanderwege entlang mal stolpert, mal schlendert. An dieser Biegung gibt der Pfad den Blick frei auf die Bucht von Théoule-sur-Mer, an der nächsten weit ausschwingend auf die von Cannes. Ganz oben, in das gelbe Wattekissen eingepolstert, das für Frankreich unvermeidliche ländliche Restaurant, in den Tagen der »Fête des Mimosas« Türen und Fenster geschmückt mit großen Mimosenstöcken, die, in dicke Bottiche gesteckt, auch den kleinen Ort allenthalben zieren. Zärtlicher dann, von kleineren Zweigen umkränzt, das Schild »À la Mémoire glorieuse des Enfants de Tanneron – Mort pour la France« – selbst hier, hoch oben im luftigen Nichts.
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