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Nizza - mon amour (German Edition)

Nizza - mon amour (German Edition)

Titel: Nizza - mon amour (German Edition)
Autoren: Fritz J. Raddatz
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man von kapitalistischem Stalinismus sprechen möchte. Meine witzige Kollegin Charlotte Frank schrieb in der Süddeutschen Zeitung vom Charme des Berlin-Marzahn-Viertels. Der Unterschied besteht allerdings darin, daß die größtenteils unbewohnten Beton-Giganten am Mittelmeer nachts hell erleuchtet sind – es handelt sich ja um Briefkastenadressen, und während die Eigentümer auf ihren Yachten um die Bermudas schippern, müssen sie qua Stromrechnung den Finanzbehörden ihre Präsenz in »Monte« nachweisen; neuerdings sind die Dienstboten gehalten, möglichst viel und teuer zu telefonieren (was ihnen früher streng verboten war) – auch die Telefonrechnung ist Aufenthaltsbeweis. Es scheint, als seien Künstler von so rigiden Zwangsvorschriften ausgenommen. Eine der Prinzessinnen, wie weiland Fontanes Frau Jenny Treibel mit dem »Sinn für das Höhere«, hat ihnen großzügige Ateliers einrichten lassen, wo sie so selten wie die Finanzhaie hausen, da sie in Mailand, Paris, London oder New York arbeiten, aber hier versteuern – bzw. eben nicht. Ich war sehr versucht, ein Türschild zu fotografieren, auf dem man sechs der renommiertesten Namen der internationalen Kunstwelt hätte lesen können.
    Kunst, das muß gerechterweise hinzugefügt werden, bietet die Mini-Metropole dann doch auch. Die Stadt hat ein fabelhaftes Orchester und kann sich – in mehreren, dem Meer abgerungenen, großzügigen Konzertsälen – die besten Violin-oder Klaviersolisten der Welt leisten: Gelegentlich hat man die Qual der Wahl – will man im üppig restaurierten »Salle Garnier« in Monte Carlo das »Ave Verum« von Mozart hören, oder fährt man – auch das ist die Côte d’Azur – nach Cannes, wo Natalia Gutman – sie trägt den Ehrennamen »weibliche Rostropovich« – ein Violoncello-Konzert gibt. Alles bei übrigens derart billigen Eintrittspreisen, daß man für den Betrag kein Steak Tatare im snobistischen »Café de Paris« bekäme, vis-à-vis vom legendären Spielcasino, das jetzt größtenteils zu einem vulgären Flippermaschinen-Las-Vegas heruntergekommen ist. Vorbei die seligen Zeiten, da man sich gegen Morgen nach verspielten Millionen im Frack auf den Klippen erschoß, wie es sich gehört.
    Was sich inzwischen gehört – Mischa Maisky hin, András Schiff her –, ist leider dubios. Schwarzes Hemd mit weißer Krawatte zum weißen Dinner-Jacket: also Gebrauchtwagenhändler. Auch die Damen im Nerz futtern ungeniert aus der Popcorn-Tüte, und den Bentley-Chauffeur im T-Shirt mag man auch nicht eigentlich distinguiert nennen. Da sie das vielgerühmte Zirkusfest von Monte Carlo mit so herrlich bösem Blick persifliert hat, zitiere ich noch einmal die Reportage der »Süddeutschen Zeitung«: »Man erwartet eine Sensation, einen nie gesehenen Doppelflickflack, einen gefährlichen Tiger. Bis der Trommelwirbel abreißt – und Fürst Albert eintritt. Na ja. Immerhin ein Salonlöwe, allerdings mit dem Charme eines Sparkassenleiters. Im Arm hat er seine Freundin, die südafrikanische Schwimmerin Charlene Wittstock, die im langen Glitzermantel über dem breiten Kreuz aussieht wie der Zirkusdirektor persönlich. Sie hat ja wohl stilistisch auch bald einiges zu sagen, im Fürstentum. Es folgt Stéphanie, eine Illusion in Schwarz-Gold, mit ihrer Tochter Pauline. Obwohl doch seit ihrer Ehe mit einem Artisten kein Zweifel mehr an ihrer Vorliebe für die Manege und ihre Helden besteht, wirkt Stéphanie eher pflichtbewußt. Es scheint nicht nur Spaß zu sein, zehn Tage lang jeden Abend Akrobaten angucken zu müssen: Akrobaten am Seil, Akrobaten auf Pferden oder fachgerecht übereinandergestapelt. Über die Clowns, die selbst in Monaco nichts anderes tun, als zu stolpern und merkwürdige Dinge zu verschlucken, kann die Prinzessin überhaupt nicht lachen, sie klatscht ungefähr so versteinert wie einst die Delegierten auf KPdSU-Parteitagen, und als die Pausenclowns das Publikum zum ›Viva-España‹-Singen animieren, kneift sie den Mund zu. Charlene auch. Nur Albert gibt sich beschwingt. ›Kein Wunder, er bekommt nirgends sonst so viel Applaus‹, hat Festivalgründer Frère zuvor prophezeit.«
    Hineingeprescht ins Paradies der Werktätigen sind wir also auf der Autoroute. Es gibt aber eine sehr viel schönere Wegstrecke, die ich dringend empfehle. Heraustrudeln wenigstens sollte man auf der Basse Corniche. Nein, Kommando zurück. Es wäre doch zu schade, die wunderschöne Uferstraße im Dunkeln wie an einer paillettenbesetzten
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