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Wofür es sich zu leben lohnt

Wofür es sich zu leben lohnt

Titel: Wofür es sich zu leben lohnt
Autoren: Robert Pfaller
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Vorwort
    Wenn Prioritäten wie Sicherheit, Gesundheit, Kosteneffizienz oder der sogenannte »europäische Hochschulraum« in der Kultur der Gegenwart als höchste Güter behandelt werden, dann geschieht es nicht selten, dass Lebensqualitäten wie Bürgerrechte, soziale Absicherung, Genuss, Würde, Eleganz und Intellektualität ohne Zögern und ohne jede Diskussion geopfert werden.
    Unbescholtene Menschen werden bei Sicherheitskontrollen wie Verbrecher behandelt. Auf Flughäfen müssen sie ihre Schuhe und Gürtel ausziehen. Regierungen verbieten uns das Rauchen, als ob wir Minderjährige wären. Sogar auf der Straße soll es untersagt werden, und die Zigarettenpackungen sollen anstatt liebevoller graphischer Gestaltung am besten nur noch Warnungen und drastische Bilder von Lungenkrankheit zeigen. Die Universitäten Europas verwandelt man in repressive Obermittelschulen, die nur noch auf den Prinzipien des Zwangs und der Kontrolle beruhen, wodurch die Ressourcen der freiwilligen Motivation und des neugierigen Interesses verschleudert und die Universitäten als Orte der Forschung, des freien Gedankenaustauschs und der kritischen Selbstreflexion der Gesellschaft ruiniert werden. Ist es nicht erstaunlich, was wir uns gegenwärtig alles gefallen lassen? Wir lassen uns wie Kinder behandeln – obwohl wir meistens sogar energisch protestieren, wenn Kinder so autoritär behandelt werden.
    Peinlicherweise sind wir nicht ganz unschuldig an diesen Entwicklungen. Wir halten uns für Genussmenschen, rufen aber doch auffällig schnell nach Verbot und Polizei, wenn irgendetwas gegen den Strich unseres deutlich biederer werdenden Empfindens geht. Unser politischer Verzicht auf das, was wir vom Leben haben können, gründet sich also letztlich auf eine ästhetische Schwäche: die Unfähigkeit, jene Bedingungen herzustellen und zu schätzen, unter denen so anstößige Dinge wie Feiern, Tabak, Alkohol, Sex, schwarzer Humor, müßiges Nachdenken etc. als lustvoll erlebt werden können.
    Daran zeigt sich, dass die reichsten Bevölkerungen der Welt es verlernt haben, sich die Frage zu stellen, wofür es sich zu leben lohnt. Das Unvermögen, diese Frage zu stellen, erscheint somit als das charakteristische Merkmal unserer Epoche; als ihr typisches Krankheitssymptom. In diesem Buch versuche ich nicht nur, Antworten auf diese Frage vorzuschlagen. Ich möchte auch klären, was das Besondere dieser Frage ist; welche Folgen es hat, sie nicht zu stellen, und aus welchen Gründen sie derzeit nicht gestellt wird.
    Der beherzte Griff nach dem, was man vom Leben haben kann, ist die typische Handbewegung einer bestimmten Philosophie: des Materialismus. Wenn aber der Griff nach der Welt nicht möglich ist, dann liegt das, wie die materialistischen Philosophen übereinstimmend gelehrt haben, daran, dass man selbst von einer Einbildung ergriffen und festgehalten ist. Der Materialismus ist darum eine Theorie der Einbildung und – wie eine Schule des Ringens oder des Judo – eine Übung in brauchbaren Kunstgriffen, mit denen man sich der zwanghaften Einbildung entwinden kann. Diese Theorie und einige ihrer Kunstgriffe sollen in diesem Buch auf die beherrschenden Einbildungen der Gegenwart angewendet und zur Wirksamkeit gebracht werden.
    Der Gewinn solcher materialistischer Gymnastik wäre jene ruhige, aber nicht untätige Besonnenheit, die nicht alles mit sich machen lässt, was immer neue Panikmachereien für notwendig erklären.
     
    Dieses Buch entstand zum Teil im Rahmen meiner universitären Forschungs- und Lehrtätigkeit, zum anderen Teil im Rahmen des vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds WWTF geförderten Forschungsprojekts »Transferences. Psychoanalysis – Art – Society« der Forschungsgruppe für Psychoanalyse »stuzzicadenti«. Ich bin darum den Studierenden und Lehrenden der Universität für angewandte Kunst in Wien, der Kunstuniversität Linz, der technischen Universität Wien, der Kunsthochschule Oslo ( KHIO ), der Rietveld Academie Amsterdam, der école supérieure des beaux-arts de Toulouse sowie dem Institut für Erweiterte Kunst in Linz dankbar für lohnende Herausforderungen, Anregung und Diskussion; ebenso den Mitgliedern der Gruppe »stuzzicadenti«, Georg Gröller, Mona Hahn, Judith Kürmayr, Ulrike Kadi, Suzy Kirsch, Eva Laquièze-Waniek und Karl Stockreiter für langjährige, intensive, transdisziplinäre Auseinandersetzung. Wertvolle Hinweise, Kritik und Ermutigung verdanke ich außerdem Dieter
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