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Nizza - mon amour (German Edition)

Nizza - mon amour (German Edition)

Titel: Nizza - mon amour (German Edition)
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Nizza? Nizza gibt es nicht. Es gleicht jenem berühmten Fächer mit dem Mallarmé-Gedicht, dessen Zeichen geheimnisvoll bleiben, der erst auseinandergefaltet seine Wortgeheimnisse preisgibt; so wird die Stadt und die unbedingt ihr zugehörige Umgebung erst schön, läßt man sich ihre Sonderbarkeiten zufächeln, die Eleganz der Belle-Époque-Paläste, errichtet von den russischen Adligen und reichen Engländern im 19. Jahrhundert, oder die stilsichere Perfektion der Art-déco-Häuser, denen gleichsam als Ausrufungszeichen die weiße Betonkirche Ste-Jeanne d’Arc aus dem Jahre 1931 im Quartier Libération hinzugefügt ist. Doch so weit und prächtig er aufgespannt sein mag – der Fächer (Mallarmé hatte Gedicht und Ball-Requisit seiner wenig geliebten deutschen Frau Maria-Christine Gerhard zugeeignet) kann abstruse Häßlichkeit, Nepp und die glitzernde Brillanten-Vulgarität der russischen »Nouveau riche«-Oligarchen nicht verbergen; wie deren Nationalhymne erscholl im Sommer 2006 der Notschrei aus den Luxushotels vom »Negresco« bis hin zum »Palais Maeterlinck«: »Hilfe, der Kaviar ist alle.« Zu diesem Ungemach wird es nicht kommen im Riesenbesitz, den oberhalb von Villefranche ein Russe für 50 Millionen Euro erwarb, dabei treuherzig versichernd, er werde auch 50 Gärtner beschäftigen. Zwar ist im Jahre 2007 die Zahl der russischen Milliardäre auf 71 im Vergleich zu 53 im Vorjahr gestiegen; aber nicht ohne Häme titelte Nice Matin im Herbst 2008: »Fin de la Fête pour les nouveaux riches russes?«
    Nizza ist ein Plural. Ein Konglomerat der Mehrdeutigkeiten. Bereits das Ortseingangsschild lautet »Nice. Nissa«. Was ist das für eine Sprache? Oder ist es ein Dialekt? So manche Beschriftungen lesen sich gar seltsam: Place heißt Plassa, Rue heißt Carriera, und manchmal ergeben sich völlig andere Bezeichnungen; einer der größten Boulevards, nach Jean Jaurès benannt, wird auf »Lou Bastioun« getauft und die zentral gelegene Place Garibaldi, neuerdings herrlich restauriert, »Plassa Vitrou«. Die Rue de l’Ancien Sénat schreibt sich »Carriera dei Presoun«. Französisch ist das nicht, provenzalisch ist es nicht, italienisch ist es auch nicht. Dabei ja letzteres naheläge. Nizza hat eine wechselvolle Geschichte, viele Denkmäler hoch oben in den Bergen geben Auskunft, wie lange und wie oft es italienisch war und daß – auch, als es Italien gar nicht gab – der König von Sardinien sich etwa sein »Eigentümer« nennen durfte. Doch es gibt, wie für (fast) alles im Leben, eine Erklärung: Diese »Nizzardisch« genannte Sprache hängt mit eben jener verworrenen Geschichte zusammen: Die Vermischung von archaischen Ausdrucksformen aus dem Mittelalter mit der altprovenzalischen Sprache verdankt sich nicht zuletzt dem Umstand, daß die Grafschaft Nizza zwischen 1388 und 1860 verwaltungsmäßig abgetrennt war von der Provence. Das kann der Besucher nicht wissen, der für Mahlzeit (repas) »Lou part« am Restauranteingang liest oder sich noch heute (aujourd’hui) verabreden will, ihm aber »ancuéi?« (ach, heute?) als Rückfrage zuteil wird. Der piemontesische Offizier Louis Andrioli (1766–1838) verfaßte noch Anfang des 19. Jahrhunderts ein langes Poem in dieser alten Sprache, dessen erste beiden Zeilen sich so lesen:
    »La fremo embe la sieu scarto doù iure l’espado
    li arranco d’uno man la bandiero lunado«
    (»La Femme écarte du Turc l’épée
    lui arrache d’une main la bannière au corissant«)
    Immerhin: Daß Nizza dann nach vielen Kriegen, Raubzügen, italienischen Eroberungen, Abtrennungen und Schlachten schließlich französisch wurde, mag dem Sprichwort recht geben, das da lautet: »Qui tient la langue tient la clef du pouvoir« – wer die Sprache spricht, hält den Schlüssel zur Macht.
    Garibaldis Geburtshaus, gekennzeichnet mit einer stolzen Plakette – und aparterweise heute benachbart einer einschlägigen Sauna –, liegt am Hafen von Nizza. Er war von Geburt französischer Staatsbürger, später dann italienischer, wodurch ihm wiederum die Ehre verwehrt wurde, Mitglied der Pariser »Chambre des Deputés« zu werden. Das 2008 neueröffnete »Musée Masséna« – eine fürstliche Villa an der Promenade des Anglais, errichtet zwischen 1898 und 1900 vom Prinzen d’Essling, dem Enkel des Marschalls Masséna, und 1917 vom Sohn des Prinzen der Stadt geschenkt – gibt dem Unkundigen in vorzüglicher Gestaltung präzise Auskunft über die Geschichte und Geschicke Nizzas; etwa, daß
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