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Nizza - mon amour (German Edition)

Nizza - mon amour (German Edition)

Titel: Nizza - mon amour (German Edition)
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Olivengarten, die Lavendelbüschel, die Zypressen vor der strengen grauen Marmorwand des modernen Gebäudes sind Verheißung. Ich versage mir die lyrische Emphase nicht; man möchte herbeischweben im weißgefiederten Brautkleid jener Wolken-Feen hoch über den irdischen Dächern von Hütten und Palästen, die man alsbald als Sternschnuppenfrauen erblickt, an Monden entlangsegelnd und in den Zaubergärten der lila Violinspieler umherirrend. Emphase hin, Lyrik her – das Chagall-Museum in Nizza beherbergt ganz gewiß die ungewöhnlichste Kollektion des russisch-jüdischen Märchenmalers (kurzfristig Kunstkommissar der jungen Sowjetrepublik). Die Sammlung enthält – Stiftung seiner Erben – ausschließlich Meisterwerke: auf feuerrotem Hintergrund »Abraham und die drei Engel« (mit schneeweißen Flügeln); »Noé et l’Arc-en-ciel« – ein mächtiger weißer Strahl der Hoffnung auf grünem Grund über dem Gewimmel der verängstigten wie erlösungsbedürftigen Menschen in Ocker, Grün, Blau – Illustrationen der Genesis IX ,12; oder »Le Frappement du Rocher«, eine vollkommen wundersame Farbkomposition aus Braun, Grün, Blau, ganz lichtem Gelb – die Farben sind die Wunder jenes Steins, von dem in Exodus Kap. 17, Vers 5 und 6 die Rede geht: »… nimm deinen Stab in deine Hand, mit dem du den Nil schlugst […] da sollst du an den Fels schlagen, so wird Wasser herauslaufen …« Wie erschrocken wandert man durch so viel Schönheit, ehrfürchtig auch, es sind ja nicht nur die biblischen Legenden vom Paradies, von den Frauen der Bibel, »Rachel et Lea« und »Sara et Rebecca«, die zu Form geworden sind (beides Bas-Reliefs in unpoliertem weißem Marmor), es ist eine einzige Lohe aus Farbrausch in Orange, Blaßlila, brennendem Rot. Das sind keine Gemälde mehr. Das ist die Flammenschrift gläubiger Hoffnung, hineingeschrieben in die Himmel, die sich über dem irdischen Jammertal wölben, über allem, über uns allen. Chagall schenkt uns ein Zeichen jener Demut, die auch in der Gebärde des von ihm entworfenen Taufsteins den Betrachter anrührt und innehalten läßt – an einem nun wiederum anderen Ort dieses gesegneten Landstrichs, von dem ich noch berichten werde.
    Chagalls Kunst ist auch ein einziger großer Gesang von der irdischen Liebe, gelangt man in das »Rote Zimmer« und liest man erst einmal seine Handschrift »A Vava ma femme ma joie et mon allégresse«. Die Intensität der Bilder ist fast erdrückend. Schöner ward nie Liebe formuliert. Nun ist man alt und hat das Leben ausgeschritten. Doch wer aus diesem Museum ohne Ergriffenheit davongeht, der hat nicht gelebt. Und wer Glück hat, kann in dem kleinen Theatersaal sogar ein gutes Konzert hören – und das ist schon ein doppelter Genuß: Da geht man vorbei an den fünf groß gelungenen Werken »Le Cantique des Cantiques«, dürstenden Auges, und kann nun auch noch Mozart oder Bach hören, staunenden Ohres. »Comme la vie est belle«, sagen die Franzosen gerne bei einer besonders raffiniert zubereiteten Mahlzeit. Ich will gerne beichten: Mit aufgewühlten Sinnen fröne ich nach dem Chagall-Besuch dieser Sinnlichkeit. Denn da es nun schon mein Lieblingsmuseum ist, gehe ich wie immer anschließend in mein Lieblingsrestaurant, das »L’Univers«, wo der stets liebenswürdige Chef Michel schon vor der Bestellung »une coupe de champagne« bereithält und noch vor der Speisenwahl sagt: »Und zum Dessert wie immer das Soufflé Citron, Monsieur?« Comme la vie peut être belle …
    Keineswegs und keinesfalls durchgängig ist es das aber in Nizza. Durchaus gilt es aufzuräumen mit allerlei gängigen Klischees, selbst wenn man die alte Weisheit gelten läßt, das Wesen des Klischees sei es, daß es stimmt. Etwa das vom charmanten Südfranzosen – der in Wahrheit oft pampig und aggressiv ist, inklusive Vogelzeigen im Autoverkehr oder brutaler Drängelei im Bus; allenfalls schlagfertig kann er sein – so, wenn ich mit einem jüngeren Freund eine Brasserie betrete und es heißt »Ah – père et fils«. Oder das Klischee von der zauberhaft schönen Promenade des Anglais, gesäumt von eleganten Hotels: In Wahrheit ist das sagenumwobene »Negresco« ein Gipfel an zirkuspferdhaft dekorierter Geschmacklosigkeit, wobei die russischen Mafia-Milliardäre alle ihre gleich-blonden, gleich-langbeinigen Mädchen bei AVIS offenbar gleich mitbestellen.
    Um das Hotel »Negresco« – manche nennen es wegen seiner Kunstschätze gar »das schönste Museum Nizzas« – ranken
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