Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nizza - mon amour (German Edition)

Nizza - mon amour (German Edition)

Titel: Nizza - mon amour (German Edition)
Autoren: Fritz J. Raddatz
Vom Netzwerk:
der tausend niedlichen Nichtigkeiten, der »petits riens«, gehören dazu wie jedes Bistro oder der (leider aussterbende) »Zinc«, was soviel heißt wie Tresen, wo man an der Theke zum obligaten Vin rouge seine Gauloise raucht(e); Tummelplatz also der Schlenderer-Verspieltheit ins Nützlich-Unnütze: verblichene Orden und Omas gestrickte Bettschuhe, neue rote Troddeln für die alten Samtportieren und kleine Kristallscherben von alten Lüstern, hier eine verbeulte Reisetasche, dort ein Hutständer oder sich küssende Elfenbeinelefanten als Messerbänkchen. Leicht großmäulig kann man Schiller zitieren: »Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.« Aber es braucht gar nicht ein solch schwergewichtiges Bildungs-Quiz, man kann sich ganz einfach als Spielzeug-Fetischisten verstehen – ein Handschuhspanner, ein monströses Bügeleisen mit Klapptürchen für die glühende Kohle, absonderlichste Apparate aus Holz und Messing zum Fotografieren oder Telefonieren: der Flohmarkt-Flaneur ist recht eigentlich ein Zivilisationsarchäologe und erfreut sich am Bewahren des Fortgeworfenen. Lüstern betrachtet er in unserer Gegenwart von Digitalkamera und Handy die menschengemachten Fossilien, die Vergangenheit, da man noch feinziselierte silberne Etuis mit passender Zigarettenspitze benutzen durfte, ohne ein Halbkrimineller zu sein, und sich nicht dunkellila Plastikfingernägel an das hübsche Supermarktkassiererin-Händchen steckte, sondern sich eines edel geformten, mit weichem Leder gepolsterten Fingernagelpolierers bediente. Dieser Schnickschnack-Rummelplatz ist Schaubude wie Schaubühne: ergötzlich zu sehen, wie dort, wo unter der Woche Morcheln (im Frühsommer) oder Steinpilze (im Herbst) aufgeschnitten werden, damit der Marktkunde sieht: keine Maden; nun eine Kokette ein Samtbarett aus dem Kleiderschrank der Lempicka anprobiert oder ein reiherfederwippendes Strohungetüm aus dem Boudoir der Mistinguette. Wobei der Gewiefte auf diesen Wandelpfaden des Krimskrams auch Kostbares finden kann – einen Daume-signierten Aschenbecher, eine Lalique-Schale, ein intarsienverziertes Möbelchen –, Souvenirs als kleines Glück.
    Gewiß, das alles hat auch etwas Kleinbürgerliches, es werden ja auch alte Lederreisewecker von Passanten an die Budenbesitzer verkauft, Mutterns verfilzter Pelzumhang oder Opas geschnitzter Spazierstock. Nizza ist zu guten Teilen eine ganz bürgerliche Stadt, deren Wahrzeichen sind keineswegs so alberne Ecken wie das nuttig glitzernde Automaten-Casino »Ruhl«. Und die Zeiten, da man eine berühmte Mondäne die »Notre-Dame der Sleeping-Cars« taufte, sind wohl endgültig vorbei. Normalität herrscht vor in einem atmenden Gemeinwesen mit Büros, Banken, Versicherungen, Anwaltskanzleien und Kliniken. Vom Balkon nebenan kann man hören, wie das Enkelkind mit der leicht seltsamen Ermahnung »Und noch ein Löffelchen für den Präsidenten« gefüttert wird, während Vattern sonntags vor der Garageneinfahrt den Wagen wäscht. Kleinbürgerlichkeit und Bürgerlichkeit sind eng benachbart, beides zusammen schafft eine besondere Atmosphäre. Sehr spezifisch ist wochenends das Publikum der einfacheren Restaurants – Beispiel das »Gambetta« an der Place de Gaulle; da sitzen die Herren in Anzug und Krawatte, Typ frühpensionierter Beamter (gerade kämpft Präsident Sarkozy gegen das Privileg der Staatsangestellten, schon mit 50 bei vollen Bezügen in Pension zu gehen), im Revers oft die kleine, aber sichtbare Rosette einer der in Frankreich so beliebten wie zahlreichen Auszeichnungen und Orden; sie trinken erst mal ein gezapftes Bier, Madame – frisch onduliert – bekommt ein Glas Champagner. Das ist nichts Besonderes und hat nichts zu tun mit dem abgespreizten kleinen Finger: Champagner ist hier ein Getränk wie der Apfelsaft für die Kinder. Ebenso selbstverständlich das enorme Plateau mit Austern, Krebsen, Seeigeln und Tintenfisch, wahre Stil-Leben als Hauptgang; aber nie ein Hauch von »Was sind wir heute vornehm«. Es ist eine handfest-biedere Lebensfreude, auch noch wenn die zweite und dritte und vierte Flasche Wein kommt, und schon die Kinder wissen perfekt mit Hummerschere und Fingerschale umzugehen. Sie hat einen Frisiersalon, er ist selbständiger Plombier, sie haben den Steuerberater eingeladen und dessen etwas üppige Schwiegertochter, das Gespräch kreist nicht um Ariane Mnouchkine, eine Thailandreise oder den Roman des neuen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher