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Nizza - mon amour (German Edition)

Nizza - mon amour (German Edition)

Titel: Nizza - mon amour (German Edition)
Autoren: Fritz J. Raddatz
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begraben, neben seiner Frau Eugénie Brisson, die aus Nizza stammte; er selber lebte nie in Nizza, nur kurz auf der Flucht nach Kriegsausbruch. So hat er hier auch kein »eigenes« Museum, aber im »Musée des Beaux Arts« – neben Arbeiten des großen van Dongen – hängen großartige Bilder von ihm.
    Es gibt einen alten Friedhof am Hang des Schloßbergs von Nizza, des »Colline du Château«, mit einem gesonderten Teil für jüdische Gräber; auf den Grabsteinen kann man die Geschichte der jüdischen Einwanderung (aus Rußland, Polen, dem Maghreb) nachlesen; in der Mitte liegt, sorgsam eingefaßt, die Ruhestätte eines berühmten Rabbiners. Doch wie so viele Friedhöfe bietet auch dieser ein Panoptikum von Gegensätzen. Eben noch winkt eine steinerne Armee blumenstreuender Jungfrauen, segnen triumphierende Engel, flehen weinende Witwen und blicken siegreiche Generäle – da steht man vor einem Stein – »Mort pour la France au Camps de Déportation de Bergen-Belsen, Allemagne« – und schaudert. Viele der Grabmäler wirken mit ihrem polierten schwarzen Marmor und den Elfenbein-Intarsien wie elegante Möbel mit bronzenen Art-déco-Türen oder kunstvollen Jugendstilkeramiken, glasierte Porzellanrosen davor. Es wundert nicht, daß diese Feier des Irdischen ihren Höhepunkt findet in einem alles überragenden Engel, der über »Madame et Monsieur François Grosso – ancien Président du Tribunal de Commerce« schwebt. Verwunderlich, wenn nicht gar verstörend dann – wäre nicht das Wort Kommerz hier auch angebracht? – das arg schlichte – ihm u. a. mit den Worten »… a brillamment contribué au ce nouveau moyen de transport« gewidmete – Grab des Daimler-Benz-Konstrukteurs Emil Jelinek; er gab dem Fahrzeug den Vornamen seiner Tochter Mercedes, also der Ahnherr einer gigantischen Industrie; es wurde zwar 1982/83 von der Firma Daimler-Benz renoviert, aber eher kärglich: eine einzige Blume per Dauerabonnement – Fehlanzeige; ein solcher Auftrag an die Friedhofsverwaltung ist offenbar in der Stuttgarter Kalkulation nicht vorgesehen. Schändlich.
    Ich will nicht übertreiben und mich zum Trostsuchenden stilisieren – aber schön ist der Gang zur ursprünglich (1546) dem Benediktinerorden unterstehenden »Notre Dame de l’Annonciation«, einer hoch oben über der Stadt in Cimiez gelegenen Kirche inmitten eines Rosengartens. Ihre Fassade ist im 19. Jahrhundert in jenem Stil der »Troubadourgotik« erneuert worden, den wir auch Neogotik nennen, aber der stille Bogengang reicht noch bis 1662 zurück, das Haupt-Kirchenschiff gar bis ins 15. Jahrhundert. Allein die drei Altarbilder von Louis Bréa (1475) und seinem Bruder Antoine sind sehenswert; nicht zufällig nennt man Louis Bréa auch den »Fra Giovanni Angelico der Provence« – die Reinheit seiner Pietà nimmt den Betrachter doch mehr gefangen als der Totenprunk des eben verlassenen Friedhofs.
    Nun aber hinunter in die Stadt. Auch dort können wir Matisse noch einmal ins Fenster schauen, sein großes Atelier-Dachgeschoß überragt die Cours Saleya, gesäumt von den niedrigen Häuschen der Rue Ponchette; auf alten Stichen kann man erkennen, daß hier die Fischer ihren Fang einbrachten, und heute gibt eine andere Plakette Zeugnis davon, daß von 1940 bis 1941 hier Louis Aragon mit seiner Frau Elsa Triolet wohnte – Aragon, der das wohl versponnen-gelungenste Buch über Matisse schrieb, Aragon, der zu eben jener dunklen Zeit Frankreichs das unvergeßliche Gedicht »Les Lilas et les Roses« verfaßte, seinen Schmerzensgesang über das von Hitlers Wehrmacht besiegte Frankreich:
    O Mond der Blütenfülle Mond der Metamorphosen
    Mai wolkenlos und Juni von scharfem Dolch durchwühlt
    Nie werd ich dies vergessen den Flieder und die Rosen
    Und jene die der Frühling in seinem Schurz behielt.
    O mois des floraisons mois des métamorphoses
    Mai qui fut sans nuage et Juin poignardé
    Je n’oublierai jamais les lilas ni les roses
    Ni ceux que le printemps dans les plis a gardés.
    All das fügt sich für den Spaziergänger, der mit Neugier und Wachheit diese Stadt erobern will, zu einer großen Inszenierung. Genau hier nämlich, sozusagen zwischen Matisse und Aragon, findet jeden Montag einer der typischen Flohmärkte statt, wie sie sich als Tummelplatz der Sammel-Lüste auch in kleinen Bergdörfern, im eher schon eleganten Fayence oder im Badeort Villefranche (für einen Euro per Bus von Nizza zu erreichen), präsentieren. Diese Freilichtmuseen, begehbare Herbarien
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