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Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Titel: Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love
Autoren: Louise Doughty
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Prolog
    Muskeln erinnern sich; der Körper weiß Dinge, die das Bewusstsein nicht wahrhaben will. Zwei Polizisten standen vor meiner Tür – uniformiert, steif –, doch selbst als die aufschwingende Tür den Blick auf sie freigab, und das war eindeutig der Moment, in dem ich Bescheid wusste, selbst da suchte mein Denken nach anderen Erklärungen, drehte sich immerzu im Kreis wie eine Ratte im Käfig. Muskelerinnerung – natürlich nicht dasselbe wie Instinkt, aber verwandt: Pianisten kennen das Phänomen, und Stepptänzer, und jede Frau, die je ein Kind geboren hat. Selbst wer sich körperlich noch nie stärker betätigt hat als beim Schuhezubinden, kennt es. Der Körper begreift schneller als das Bewusstsein. Auf den Körper ist Verlass.
    Sie haben länger gebraucht als üblich, um mit der Nachricht an meine Tür zu kommen. Betty hatte nichts zur Identifizierung bei sich. Die Polizistin erklärt das mit sanfter, neutraler Stimme, aber ich will Kritik heraushören. Ich sitze auf meinem Sofa, hocke auf der Kante. Im Kamin brennt das Gasfeuer. Auf dem Teppich vor mir liegt das Magazin aus der letzten Wochenendzeitung aufgeschlagen, wo ich es liegen gelassen habe – ich habe heute Morgen darin gelesen, vor das Feuer gekauert. Der jüngere der beiden Polizisten, ein Mann, blass und schmal, bleibt an der Tür stehen. Die ranghöhere Frau – älter, blond – hat sich neben mich gesetzt, halb zu mir gewandt. Ich habe sie hereingebeten. Ich habe diese Nachricht über meine Schwelle gelassen.
    Ich versuche zu begreifen, was sie mir sagen, das große Ganze, bleibe aber an einem Detail hängen: Beide hatten nichts zur Identifizierung bei sich.
    Beide. Sie war mit ihrer Freundin Willow unterwegs. Willow und Betty.
    »Sie ist neun«, sage ich.
    Die Polizistin hält meinem Blick stand, saugt ihn auf wie Wasser – das erkenne ich daran, wie sie ihn erwidert, abschätzend. Sie wurde dazu ausgebildet, meinem Blick standzuhalten, wenn die Umstände es erfordern. Sie gerät nicht ins Wanken. Ihr Kollege ist der Taktvolle, der zu Boden schaut. Sie sind ein Team, aber ich kann frei wählen, an wen ich mich halte. Ich habe mir sie ausgesucht.
    »Sie ist erst neun«, wiederhole ich. Neunjährige führen weder Kreditkarten noch Führerscheine mit sich. Meine Neunjährige hat nicht einmal ein Handy.
    Die Polizistin versteht nicht, worauf ich hinauswill. »Es tut mir sehr leid«, sagt sie.
    In dem Moment stürmt Bettys jüngerer Bruder Rees ins Zimmer. Mit der Rechten hält er einen Tacker umklammert. Er schmeißt sich gegen meine Knie und rammt seine Stirn auf meinen Schoß, eine Geste der Wut wie auch der Zuneigung und eine stumme Erinnerung daran, dass ich ihm eine nicht näher bestimmte Belohnung versprochen habe, wenn er sich in der Küche mit Malen beschäftigt, während ich mit den beiden Leuten im Wohnzimmer rede. Die Liebe zu meinem Sohn schwappt wie eine Woge über mich. Ich umklammere seine Schultern und ziehe ihn fest an mich, wenn auch unbeholfen. Als er spürt, dass mein Bedürfnis seines übersteigt, windet er sich los, steht dann da und sieht mich abwartend an. Die Polizistin beugt sich zu mir vor, schiebt sich zwischen mich und Rees und streckt ihre Hand so aus, dass sie ein, zwei Zentimeter über meiner Schulter in der Luft schwebt. Obwohl sie mich nicht berührt, empfinde ich das als aufdringlich.
    »Mrs. Needham, Laura, es tut mir leid, aber wissen Sie vielleicht, wie wir Bettys Vater erreichen können?«
    Unsere Körper machen sich häufig selbstständig. Das passiert andauernd. Zum Beispiel hätte ich bei meiner Fahrprüfung eigentlich durchfallen müssen – gleich beim Anlassen ließ ich den Motor zweimal absaufen –, doch als wir die Clarence Road entlangfuhren und meine Hände das Lenkrad umklammert hielten, sagte der Prüfer zu mir: »Wenn ich mit dieser Zeitung auf das Armaturenbrett klopfe, möchte ich, dass Sie eine Notbremsung vollführen. Und zwar möchte ich, dass Sie genauso scharf bremsen, wie Sie es tun würden, wenn Ihnen ein Kind vors Auto läuft.«
    Nachdem er sich die Haare aus dem Gesicht gestrichen hatte, sagte er: »Danke, Miss Dodgson. Ich werde Sie bestimmt nicht bitten, dieses Manöver zu wiederholen.«
    Bettys Vater und ich haben uns vor drei Jahren scheiden lassen, als Betty sechs und Rees noch ein Säugling war. Er wohnt mit seiner Freundin Chloe und ihrem Baby in der neuen Siedlung Richtung West Runton, für die das Gebiet um die Flussmündung trockengelegt wurde. So umstritten dieser
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