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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr
Autoren: Christoph Marzi
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den Geruch erinnern. Hier riecht es anders. Nicht so frei. Und all die Menschen, die noch in Portland leben, können das Meer Tag für Tag riechen. Wenn ich daran denke, was ich verlassen habe, dann denke ich an diesen Geruch, den ich jeden Morgen vermisse.«
    Ich küsste sie auf die Schulter.
    »Spiel mir etwas vor«, bat sie mich.
    Und ich stand auf und griff mir die Gitarre und spielte ganz leise den Dylan-Song, an den ich gedacht hatte. Selina hörte mir still zu, und als ich fertig war, da schlüpfte ich wieder zu ihr unter die Decke.
    »Weißt du, warum Katzen im Dunkeln sehen können?«, fragte sie mich.
    »Ich weiß wenig über Katzen.«
    Eigentlich fast nichts.
    »Da gibt es nicht viel zu wissen.«
    »Außer?«
    »Katzen sind kleine Frauen in samtweichen Pelzmänteln.«
    Ich musste lachen.
    »Warum können Katzen im Dunkeln sehen?«
    Sie sah mich an, und mir war, als leuchteten ihre Augen. »Als die Erde erschaffen wurde, da waren es die Katzen, die als die ersten Lebewesen das Paradies bevölkerten. Und als die Nacht gemalt worden war und die Sterne in grellen Blitzen geboren wurden, da verfolgten die Katzen das Schauspiel, und das Licht, das sie sahen, brannte sich auf ewig in ihre Augen. Deshalb können die Katzen im Dunkeln sehen, und deshalb leuchten ihre Augen wie Edelsteine in der Schwärze der Nacht. Es ist das Licht der ersten Sterne, das noch immer in ihnen gefangen ist.«
    »Eine schöne Geschichte.«
    »Es gibt viele dieser Geschichten«, antwortete Selina. »Katzen erzählen sie sich, wenn sie zusammen sind.«
    Ich küsste sie auf die Nasenspitze, die ganz kalt war.
    Sie schnurrte.
    »Du bist verrückt«, neckte ich sie.
    »Katzen«, sagte sie, »sind immer auf der Wanderschaft.«
    »Gestern noch in Portland, heute schon im Big Apple.«
    Ihr Blick sagte mir, dass sie die Bemerkung nicht komisch fand.
    »Kennst du die Geschichte von den Katzen und den Babys?«
    »Nein.«
    »Wenn ein Neugeborenes im Mutterleib zu leben beginnt«, erzählte sie mir, »dann wird irgendwo ganz in der Nähe ein Kätzchen geboren, dessen Aufgabe es ist, das Neugeborene zu finden und ihm auf Schritt und Tritt zu folgen. Die Katze muss das Kind vor allem Bösen bewahren, und weil die Menschen dazu neigen, ein unstetes Leben zu führen, und von einem Ort zum anderen ziehen, müssen sich auch die Katzen auf ewige Wanderschaft begeben.«
    »Du meinst, dass Katzen unsere Schutzengel sind?«
    Sie nickte. »Was ist so seltsam daran?«
    Ich schwieg.
    »Weißt du, was mein Lieblingsbuch ist?«
    »Sag’s mir.«
    »Frühstück bei Tiffany. Eine alte Taschenbuchausgabe liegt drüben im Koffer.«
    »Warum gerade das?«
    »Weil ich bin wie Holly Golightly«, antwortete Selina. »Truman Capote wusste, wie man eine Katze beschreibt.«
    Was sie mir damit sagen wollte, wusste ich nicht genau. Trotzdem nahm ich sie in den Arm, und wir schliefen bald ein. Einmal erwachte ich mitten in der Nacht und hörte sie im Schlaf schnurren, und es klang wirklich so, als sei sie eine Katze.
     
    »Katzen«, sagte sie einmal, »haben ihre Geheimnisse.«
    Oft war sie allein in der Stadt unterwegs. Und niemals sagte sie mir, wo sie hinging. Manchmal war sie nächtelang fort, und wenn sie wieder in ihrer Wohnung war, dann schlief sie ganz schnell auf der Matratze ein. Zusammengerollt wie ein Kätzchen fand ich sie dann am Morgen vor, eine Schlafmaske mit Blümchenmuster über die Augen gezogen.
    »Wo hast du gesteckt?«, fragte ich dann.
    Sie lächelte müde. Blinzelte ins Licht. »Ach, nirgendwo.«
    Das war alles, was ich jemals von ihr erfuhr.
    Sie gab mir immer einen Kuss auf den Mund.
    Rieb sich die Augen.
    Blinzelte.
    »Du musst dir keine Gedanken machen. Es ist alles okay.«
    Dann ging ich wieder nach oben in meine Wohnung und spielte Gitarre.
    Und machte mir Gedanken.
     
    Wir kannten uns länger als ein Jahr und waren nicht ganz ein Jahr das, was man ein Paar nennen mochte. Eines Abends dann ging ich hinüber zum Si-Suwat, wo sie gearbeitet hatte, und alles, woran ich bis dahin geglaubt hatte, veränderte sich in nur wenigen Augenblicken.
    »Hey, Schwuchtel!«
    Ich hatte keinen der Typen kommen hören, vermutlich hatten sie sich in einem der Hauseingänge versteckt gehabt. Was ich aber spürte, war der Schlag einer kräftigen Faust in die Magengegend. Ich schnappte nach Luft, und der nächste Schlag traf mich mitten ins Gesicht.
    »Lasst mich in Ruhe«, keuchte ich und fügte ein halbherziges »bitte« hinzu.
    Nicht dass ich geglaubt hätte, sie
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