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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr
Autoren: Christoph Marzi
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wiedersehen darf.
    »Wusste Papa, dass er dir geschrieben hat?«
    »Er hat es ihm nie gesagt.«
    »Aber …«
    »So lautete unsere Vereinbarung. Mortimer durfte es niemals erfahren.«
    Dann erzählte sie mir noch etwas.
    Mir schwindelte. Es war, als stelle sich mir das ganze Leben auf den Kopf. So viele schreckliche Dinge waren damals geschehen, und doch war nur wichtig, dass sich meine Eltern trennen mussten. Dass man ihnen keine Wahl gelassen hatte.
    »Hast du ihn geliebt?«
    Sie begann zu weinen, wild, verrückt und aus tiefstem Herzen. »Ich liebe ihn noch immer, Scarlet. Ich habe nie aufgehört, ihn zu lieben.« Sie sah mich an. »Er weiß nicht einmal, dass es dich gibt.«
    Ich nahm sie in die Arme.
    Wir weinten beide.
    Dann vertraute sie mir ein Geheimnis an. Ihre Augen sahen auf einmal wieder jung und lebendig aus.
    Ich musste lächeln, konnte gar nicht anders, obwohl ich noch weinte. Das, was sie mir gesagt hatte, war ein schöner Gedanke, würde es sein auf alle Zeit.
    Sie löste sich aus der Umarmung.
    »Und jetzt«, sagte sie, fasste meine beiden Hände so behutsam wie damals, als ich noch klein war, und drückte sie, »fahr zum See und denk über alles nach.«
    Ich küsste sie. »Das werde ich, Mama«, versprach ich, »das werde ich.« Mir fiel auf, dass ich sie niemals Rima genannt hatte, sondern immer nur Mama. »Kann ich dich allein lassen?«
    Sie nickte. »Nun fahr schon los.«
    Ich verließ St. Clouds und fuhr mit dem Volvo zum oberen See.
    Ans Klavierspielen musste ich denken, wie seltsam, gerade jetzt. An all die Töne, die nie zueinander gepasst hatten, doch es jetzt taten. An das alte Klavier, das einfach dort gestanden und das ich von Anfang an gemocht hatte.
    Es gibt eben keine Zufälle im Leben.
    Als ich ankomme, sehe ich Keanu, der unten am Ufer kniet und das Zelt bereits aufgebaut hat. »Wo hast du gesteckt?« Er kommt auf mich zu. Sein Haar trägt er jetzt offen. Das tut er immer, wenn wir hier draußen sind. Das tat er auch, als wir uns das erste Mal begegneten.
    »Mama hat es mir gesagt.« Ich falle ihm um den Hals und halte mich an ihm fest.
    »Scarlet, was hast du?«
    Ich heule einfach so drauflos. »Ich weiß jetzt, wer mein Vater ist.«
    Er hält mich fest.
    Lange, lange.
    Ach, so lange.
    Als es dunkel wird und die Sterne sich aus ihren Verstecken trauen, liegen wir im Zelt, und ich rede. Die ganze Nacht über rede ich, und Keanu hört mir geduldig zu. Ich erzähle von Mama, von New York, von London und, ach, so vielem mehr.
    »Ich liebe dich«, sage ich, als ich fertig bin.
    Dann schlafe ich ein und träume vom Herzschlag des Mannes, der neben mir liegt.
    Am nächsten Morgen gehe ich zum See hinunter. Nebel liegt noch über allem wie ein Hauch von Erinnerung.
    Das Wasser kann mit Himmel gefärbt sein. Ich weiß es, glaubt mir. Wenn man die Hand darin eintaucht, dann zerfließt das blaue Firmament in kleinen Wellen, und etwas von der anderen Seite berührt einem still und zärtlich die Fingerspitzen. Man zieht die Hand zurück, ängstlich und mit einem stummen Schrei in den Augen. Und das, was man gesehen hat, kann man nicht mehr vergessen. Das, was man gehört hat, wird zum Lied eines ganzen Lebens.
    Ich kenne jetzt mein Lied. Die Melodie, die gefehlt hat, ist endlich da. Ich weiß nicht, ob sie mich glücklich macht. Aber das bleiche Gesicht, das mich aus dem Wasser anstarrt, hat jetzt eine Geschichte bekommen.
    »Lapislazuli«, flüstere ich leise mit brüchiger Stimme, als sei es eine magische Formel. So hat Mama ihn genannt, wenn sie bei ihm war, wie Keanu jetzt bei mir ist. So und nie anders.
    Regungslos sitze ich da und warte darauf, dass die Sonne aufgeht und das Wasser des Sees die Farbe des Himmels bekommt.
    Keanu kommt zu mir. Er küsst meine Schulter. Wir streifen die Kleider ab und gehen ins Wasser. Dann schwimmen wir im Himmel, der das Wasser färbt, und alles, was das Leben ausmacht, ist um uns herum und lässt mich bangend wünschen, dass es niemals anders sein wird.

Die lügenhafte Liebe der Lady Lynx
    Meine erste New Yorker Wohnung lag an der Eastside, ganz in der Nähe des Tomkins Square Parks. Es war eine Bude direkt unter dem Dach eines der alten Backsteinhäuser, deren Rot diesen matten Schein besitzt, wenn die Sommersonne darauf herniederbrennt. Die Einrichtung bestand aus einer Ansammlung von Gerümpel, für die niemand mehr Verwendung zu haben schien. Miss Bedelia Lacey, die Wohnungseigentümerin, hatte mir die Möbel zur Verfügung gestellt. Bevor ich
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