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Night World - Retter der Nacht

Titel: Night World - Retter der Nacht
Autoren: Lisa J. Smith
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an den tiefen Schatten unter seinen Augen …
    Als er beiläufig vorschlug, dass Poppys Mutter zu einem kleinen Plausch mit hinaus auf den Flur kommen sollte, erhärtete sich Poppys Verdacht.
    Er wird es ihr sagen, dachte sie. Er hat die Ergebnisse, will aber nicht, dass ich sie erfahre.

    Ihr Plan war sofort gefasst. Sie gähnte und sagte: »Geh nur, Mom. Ich bin ein wenig müde.« Dann legte sie sich zurück und schloss die Augen.
    Sobald die beiden weg waren, sprang Poppy aus dem Bett. Sie öffnete ihre Tür einen Spaltbreit und beobachtete, wie ihre Mutter und Dr. Franklin den Flur hinuntergingen und in einen anderen Gang einbogen. Leise folgte sie ihnen auf Strümpfen.
    An der Schwesternstation wurde sie ein paar Minuten aufgehalten. »Ich vertrete mir nur ein bisschen die Beine«, sagte sie zu der Krankenschwester, die sie fragend ansah, und tat so, als hätte sie kein bestimmtes Ziel. Als die Schwester ein Klemmbrett in die Hand nahm und in eines der Krankenzimmer ging, lief Poppy schnell den Gang hinunter.
    Am Ende lag das Wartezimmer. Sie hatte es schon vorher besichtigt. Da gab es einen Fernseher und eine komplett eingerichtete Küche, damit die Verwandten so bequem wie möglich warten konnten. Die Tür stand leicht offen. Poppy schlich sich heran. Sie konnte zwar Dr. Franklins tiefen Bass hören, verstand aber nicht, was er sagte.
    Sehr vorsichtig kam Poppy noch näher. Sie ging das Risiko ein, in den Raum zu spähen.
    Sofort sah sie, dass kein Grund zu besonderer Vorsicht bestand. Jeder im Zimmer war total beschäftigt.
    Dr. Franklin saß auf einem der Sofas. Neben ihm befand
sich eine dunkelhäutige Frau, die ihre Brille an einer Kette um den Hals befestigt hatte. Sie trug einen weißen Arztkittel.
    Auf dem anderen Sofa saß Poppys Stiefvater Cliff. Sein sonst immer perfekt gekämmtes Haar war leicht zerzaust, seine kantigen Kiefer mahlten. Er hatte den Arm um ihre Mutter gelegt.
    Und Poppys Mutter schluchzte.
    Poppy zog sich von der Tür zurück.
    Oh nein, ich habe wirklich diese Krankheit, fuhr es ihr durch den Kopf.
    Sie hatte ihre Mutter noch nie zuvor weinen gesehen. Nicht, als Poppys Großmutter gestorben war, und auch nicht während der Scheidung von Poppys Vater. Die Spezialität ihrer Mutter war es, mit allem fertig zu werden.
    Aber jetzt …
    Ich habe es, ich habe es ganz sicher. Wie eine Gebetsmühle wiederholte sie diese Worte.
    Trotzdem, vielleicht war es gar nicht so schlimm. Ihre Mutter war geschockt, okay, das war natürlich. Aber das bedeutete nicht, dass Poppy sterben musste oder so. Poppy hatte die gesamten Errungenschaften der modernen Medizin auf ihrer Seite.
    Das sagte sie sich immer wieder, während sie von der Tür weggehen wollte.
    Aber sie war nicht schnell genug. Bevor sie außer
Hörweite war, schluchzte ihre Mutter: »Mein Baby. Oh, mein kleines Mädchen.«
    Poppy erstarrte.
    Und dann Cliffs Stimme, laut und ärgerlich: »Sie wollen uns im Ernst weismachen, dass man gar nichts tun kann?«
    Poppy stockte der Atem. Gegen ihren Willen ging sie wieder auf die Tür zu.
    »Dr. Loftus ist Spezialistin für Krebserkrankungen. Sie kann es Ihnen besser erklären als ich«, sagte Dr. Franklin gerade.
    Dann meldete sich eine neue Stimme zu Wort. Es war die Ärztin. Zuerst verstand Poppy nur Bruchteile, medizinische Fachausdrücke, die ihr nichts sagten. Dann fuhr Dr. Loftus fort: »Um es einfach auszudrücken, das Problem liegt darin, dass der Tumor sich bereits ausgebreitet hat. Er hat die Leber und die Lymphknoten um die Bauchspeicheldrüse befallen. Das bedeutet, wir können nicht mehr operieren.«
    »Aber mit Chemotherapie …«, warf Cliff ein.
    »Wir könnten es mit einer bestimmten Wirkstoffkombination versuchen, mit der wir schon ganz gute Ergebnisse erzielt haben. Aber ich will Ihnen keine falschen Hoffnungen machen. Wir können damit das Leben Ihrer Tochter bestenfalls um ein paar Wochen verlängern. In diesem Stadium sollten wir uns darauf beschränken, ihr die Schmerzen zu nehmen und ihr die
verbleibende Zeit so angenehm wie möglich zu gestalten. Verstehen Sie das?«
    Poppy hörte das herzzerreißende Schluchzen ihrer Mutter, aber sie konnte sich nicht von der Stelle rühren. Es kam ihr so vor, als würde sie einem Hörspiel im Radio lauschen. Als ob das Ganze gar nichts mit ihr zu tun hätte.
    »Verdammt!«, explodierte Cliff. »Wir reden hier über ein junges Mädchen! Wie konnte die Krankheit überhaupt so weit fortschreiten, ohne dass jemand etwas davon gemerkt hat! Die
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