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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland
Autoren: Marcia Muller
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durch das flache Central Valley bis an den Fuß der
Sierra Nevada und durch den Yosemite Park — hatte ich das Verhalten des kleinen
Wagens genau beobachtet. Die Reparatur hatte sich meiner Ansicht nach gelohnt,
was bei einer äußerlichen Verschönerungsaktion nicht der Fall gewesen wäre. Bei
meiner Art von Arbeit ist ein schicker, Aufmerksamkeit erregender Sportwagen
eine eindeutige Verpflichtung.
    Ich nahm den Highway und fuhr nach
links Richtung Vernon. In anderthalb Meilen Entfernung verlief die Bergkette,
die hier einen Bogen nach Osten machte, so daß das Flachland zwischen ihr und
dem Seeufer breiter wurde. Am Ortsrand fuhr ich an einem Wohnwagenpark und
einer Ansammlung von kleinen Häusern, größtenteils aus Fertigteilen, vorbei.
Dann kamen auf beiden Seiten der Straße Geschäfte: ein paar Tankstellen, ein
Verbrauchermarkt, ein Waschsalon, ein Laden mit Pizza zum Mitnehmen und ein
Motel, das in dieser Jahreszeit geschlossen war. Ungepflasterte Wege mit
weiteren kleinen Häusern zogen in Kurven hügelan. Einer endete vor einer Kirche
mit einem weißen Turm. Hinter einem Bootsverleih sprang eine Landzunge ins
Wasser vor. Dort lag Zelda’s — Cocktails, Steaks, Meeresfrüchte — und dahinter
eine Art Gewerbekomplex — mit Versicherungsagentur, Buchhaltungsservice,
Bohrunternehmen, Grundstücksmakler. Er bestand aus großräumigen Wohnwagen, die
planlos auf einem großen, gepflasterten Platz geparkt waren. Ich stieg am Straßenrand
aus dem MG und suchte nach dem Wagen, der als derzeitiges Hauptquartier für die
Coalition for Environmental Preservation diente.
    Er war leicht zu finden, weil an einer
Seite des Wagens eine Fahne mit dem Emblem der Coalition hing — eine leuchtendorangerote
California-Mohnblume. Auf der einen Seite führten Eingangsstufen in den Wagen,
auf der anderen parkte ein alter, gut erhaltener Morgan. Anne-Maries Subaru war
nirgends zu sehen. Ich beschloß trotzdem, hineinzugehen und nach ihr zu fragen.
Als ich näher kam, hörte ich von drinnen laute Stimmen. Die Worte waren nicht
zu verstehen, aber der Ton klang wütend. Die Tür sprang auf, und eine Frau
stürzte so schnell heraus, daß sie die Balance verlor und die Stufen
hinabstolperte.
    Sie war klein, Mitte bis Ende Dreißig
und trug grobe Jeans, Arbeitsstiefel und ein schweres Wollhemd. Das braune Haar
war kurz geschnitten. Ihr rundes Gesicht war braungebrannt, die Haut rauh von
Wind und Wetter. Trotz ihrer geringen Körpergröße zeigte die Art, wie sie nach
dem Geländer griff und sich an ihm aufrichtete, ihre Kraft und Drahtigkeit. Sie
wirbelte zu der noch offenstehenden Tür herum, ballte die Faust und schrie: »Du Arschloch !«
    In der Tür tauchte ein Mann auf — sehr
groß, schlaksig, lockiges Haar. Amüsiert sagte er: »Lily, du wirst mir zu
kultiviert für meinen Geschmack.«
    »Leck mich, du Scheiß-Bäumefetischist!«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Was
sagst du mir doch immer für süße Sachen.«
    Die Frau bebte vor Wut. Sie stampfte
mit dem Stiefel auf, drehte sich um und ging mit langen Schritten über das
Pflaster zur Straße. Als sie an mir vorbeiging, hörte ich sie murmeln:
»Gottverdammter Hurensohn!«
    Ich sah wieder zum Wohnwagen. Der Mann
stand noch immer in der Tür und grinste. Zu mir sagte er: »Wie sie mit der
englischen Sprache umgeht, alle Achtung!«
    »O ja. Wer ist sie?«
    »Miss Lily Nickles. Die Tiger-Lily, wie
man sie hier nennt.«
    »Und worum ging es?«
    »Nichts Besonderes. Lily ist nur ein
bißchen... kampflustig. Wenn man sie etwas näher kennt, merkt man, daß alles
Fassade ist. Sie glaubt, ein Goldschürfer muß hart sein.«
    »Sie ist Goldschürferin?«
    »Ja, es gibt keinen zäheren
Goldschürfer im Stone Valley als Lily.«
    Ich sah zum Highway hinüber. Lily
Nickles kletterte in einen braunen, verstaubten Jeep, der wenige Meter von meinem
Wagen entfernt stand.
    Der Mann fragte: »Suchen Sie jemanden?«
    »Anne-Marie Altman.« Ich trat bis an
die Stufen. Aus der Nähe sah ich, daß er ungefähr mein Alter hatte und auf
seine Art attraktiv war — mit seiner Raubvogelnase und seinem herabhängenden Schnurrbart.
Die blonden Haare hingen ihm in Locken bis über den Kragen seiner
Wildlederjacke, die schon bessere Tage — nein, Jahre — gesehen hatte, und der
intensive Ausdruck seiner braunen Augen paßte zu seinem scharf vorspringenden
Profil.
    Er grinste wieder. »Sie müssen ihre
Freundin, die Detektivin, sein. Sharon McCone, stimmt’s?« Als ich nickte,
setzte er hinzu:
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