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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland
Autoren: Marcia Muller
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»Anne-Marie ist noch nicht aus Lee Vining zurück.«
    »Das hatte ich mir fast gedacht.«
    Der Mann trat aus dem Wohnwagen, zog
die Tür zu und schloß ab. Während er die Stufen herabkam, fragte er: »Sie
wissen, daß sich Anne-Marie mit Ihnen bei Zelda’s treffen wollte?«
    »Ja, sie hat mir in der Hütte eine
Nachricht hinterlassen.«
    »Gut. Sie möchte unter vier Augen mit
Ihnen sprechen. Nach dem Essen sehen wir uns dann alle hier.«
    »Alle?«
    »Also, das sind Sie, Anne-Marie, ich
und Ned Sanderman. Das reicht als notwendige Basisinformation.«
    Seltsame Ausdrucksweise, dachte ich.
Wie er es sagte, klang es, als handele es sich um eine geheime Regierungssache.
»Können Sie mir nicht schon jetzt etwas darüber sagen?« fragte ich.
    »Anne-Marie sollte Sie informieren.
Außerdem habe ich schon seit fünf Minuten eine Verabredung.« Mit langen,
lockeren Schritten ging er auf den Morgan zu.
    »He«, rief ich, »wie heißen Sie?«
    »Heino Ripinsky.«
    O Gott, dachte ich, kein Wunder, daß er
sich nicht vorgestellt hat!
    Ripinsky mußte solche Reaktionen
gewohnt sein, denn er blieb neben seinem Wagen stehen, wandte sich um und
drohte mir mit dem Zeigefinger. »Nicht lachen«, warnte er »Daß Sie nicht wagen zu lachen!«
    Ich behielt meine zuckenden Mundwinkel
unter Kontrolle und streckte die Hände weit von mir. »Ich? Warum sollte ich?«
    Da lachte er und stieg in den Morgan.
Über das Brummen seines Motors hinweg schrie er: »Sie können Hy zu mir sagen.«
    Ich sah ihm nach, wie er auf den
Highway röhrte, und entdeckte auf der hinteren Stoßstange einen Aufkleber: »Der
Tufa Lake den Vögeln.«
    Was wohl als nächstes kommen würde,
fragte ich mich. Ich war kaum über eine Stunde hier und hatte bereits drei
ziemlich exzentrische Typen kennengelernt. Allerdings weiß ich nicht, warum ich
noch immer auf der meist völlig falschen Vorstellung beharrte, Kleinstädter
müßten ganz gewöhnliche Leute sein. Dabei hatte ich schon eine Menge Zeit an
solchen Orten verbracht und längst herausgefunden, daß die Bewohner von
Kleinstädten genauso eigenwillige Leute waren wie die Großstädter.
    Ich sah auf die Uhr. Es war erst halb
fünf. Die nächsten fünfzig Minuten würde ich Touristin spielen, mich dann mit
Anne-Marie treffen und von diesem Fall hören, der so ernst war, daß nur vier
Leute für die »notwendige Basisinformation« in Frage kamen.
     
     
     

2
     
    Als erstes wollte ich die
Kalisalz-Ebene mit den Tufa-Türmen am Südende des Sees erforschen. An der
Tankstelle gegenüber dem Gewerbekomplex erkundigte ich mich nach dem Weg und
folgte dann dem Highway stadtauswärts. Nach ungefähr vier Meilen zweigte eine
nicht beschilderte und unbefestigte Straße nach Osten ab und führte im Bogen um
die aschgrauen Krater.
    In einem kürzlich erschienenen
kalifornischen Reisemagazin hatte ich gelesen, daß diese »feuerspeienden Berge«
nach Ansicht der Geologen mit großer Wahrscheinlichkeit innerhalb der nächsten
fünfzig Jahre aktiv werden könnten und eine Katastrophe wie beim Ausbruch des
Mount Saint Helens 1980 bevorstehe. Ein offizielles geologisches Gutachten von
1982 über mögliche vulkanische Aktivitäten hatte zu einem Aufschrei in der
Gegend geführt, vor allem bei Geschäftsleuten. Die Drohung einer Eruption,
deren Größe und Zeitpunkt nicht vorauszusagen ist, lastet nun wie eine dunkle
Wolke über den Kratern.
    Nach ungefähr einer Meile schwenkte die
Straße wieder nach Norden und endete in einer felsigen Schleife, etwa hundert
Meter vom Seeufer entfernt. Ich ließ den MG stehen und ging zu Fuß weiter.
Weißer Staub bedeckte hier den Boden. Er war feiner als Sand. Meine Turnschuhe
wirbelten kleine Wolken davon auf, und nach kurzer Zeit waren meine Jeans
eingestaubt. Jetzt konnte ich den See riechen: fischig und nicht unangenehm
beißend. Ein frischer Wind war aufgekommen und kräuselte das Wasser. Ich schien
der einzige Mensch hier zu sein, aber dann hörte ich aus der Ferne das leise
Brummen eines Automotors auf der unbefestigten Straße.
    Vor mir ragte ein versteinerter Wald
von verdrehten, surrealen Gestalten auf. Einige standen allein und reckten ihre
knorrigen Glieder zum Himmel. Andere bildeten ineinander verschlungene Gruppen.
Sie waren zwei, drei, vier Meter hoch und leuchteten pink- und goldgesprenkelt
in der untergehenden Sonne. Zu ihren Füßen lagen Büschel verdorrter Pflanzen.
Zwischen ihnen flitzten Backenhörnchen hin und her. Beifuß und Disteln
rauschten im kalten Wind. Er
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