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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil
Autoren: Selma Lagerloef
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schlug die Hände vor Erstaunen zusammen. Aber da sah er, daß
     der kleine Bursche im Spiegel dasselbe tat.
    Da zupfte er sich selber im Haar und kniff sich in den Arm und drehte sich rund herum, und augenblicklich machte der im Spiegel
     es ihm nach.
    Der Junge lief ein paarmal rund um den Spiegel herum, um zu sehen, ob sich ein Männlein dahinter versteckt hielt. Aber da
     war keins, und da begann er vor Angst zu zittern. Denn nun begriff er, daß der Kobold ihn verhext hatte, und daß der kleine
     Bursche, dessen Bild er im Spiegel sah, er selber war.
    Die wilden Gänse
    Der Junge konnte sich nun gar nicht bequemen, zu glauben, daß er in einen Kobold verwandelt war. »Es ist wohl nichts weiter
     als Traum und Einbildung,« dachte er. »Wenn ich nur ein wenig warte, werde ich wohl wieder ein Mensch.«
    Er stellte sich vor den Spiegel und schloß die Augen. Er öffnete sie erst wieder, nachdem ein paar Minuten vergangen waren,
     und erwartete dann, daß es vorübergegangen sei. Aber das war es nicht; er war undblieb gleich klein. Sonst glich er sich selbst, er war ganz so wie früher. Das flachsgelbe Haar und die Sommersprossen über
     der Nase und die Flicken an der Hose und die Stopfstelle an dem Strumpf, das war alles genau so, wie es zu sein pflegte, nur
     daß alles kleiner geworden war.
    Nein, es konnte nichts nützen, stillzustehen und zu warten, das merkte er wohl. Er mußte etwas anderes versuchen. Und er fand,
     das klügste, was er tun konnte, war, daß er versuchte, den Kobold zu finden und Frieden mit ihm zu schließen.
    Er sprang an die Erde herab und machte sich daran, zu suchen. Er guckte hinter Stühle und Schränke, und unter die Bettbank
     und hinter den Herd. Er kroch sogar in ein paar Mauselöcher hinein, aber es war ihm nicht möglich, den Kobold zu finden.
    Die ganze Zeit, während er suchte, weinte er und betete und gelobte alle möglichen Dinge. Er wollte nie wieder jemand das
     Wort brechen, er wollte nie wieder boshaft sein, er wollte nie wieder bei der Predigt einschlafen. Wenn er nur wieder ein
     Mensch werden könne, dann wollte er auch tüchtig sein und ein guter und gehorsamer Junge. Aber was er auch versprach, es half
     nicht im geringsten.
    Plötzlich fiel ihm ein, daß er die Mutter hatte sagen hören, die Kobolde hielten sich mit Vorliebe im Kuhstall auf, und er
     beschloß, gleich da hinauszugehen und zu sehen, ob er den Kobold nicht finden könne. Zum Glück stand die Tür nur angelehnt,
     denn erhätte das Schloß nicht erreichen und sie öffnen können, aber nun gelangte er ohne Schwierigkeit hindurch.
    Als er auf den Flur hinauskam, sah er sich nach seinen Holzschuhen um, denn drinnen in der Stube ging er natürlich auf Socken.
     Er überlegte gerade, was er mit den großen, klotzigen Holzschuhen anfangen sollte, aber im selben Augenblick sah er ein Paar
     kleine Schuhe auf der Türschwelle stehen. Als er sah, daß der Kobold auch die Holzschuhe verwandelt hatte, wurde ihm noch
     beklommener zumute. Es sah ja so aus, als wenn dies Elend lange währen sollte.
    Auf der alten Eichenplanke, die vor der Haustür lag, hüpfte ein Spatz. Kaum hatte der den Jungen erblickt, als er »Tit, tit!
     Tit, tit!« rief. »Nein, seht doch nur den Gänsejungen Niels! Seht den Däumling! Seht den Däumling Niels Holgersen!«
    Sogleich wandten sowohl die Gänse als auch die Hühner die Köpfe herum und es entstand ein schreckliches Gegacker. »Kickerikih!«
     krähte der Hahn, »das ist gut genug für ihn; Kickerikih, er hat mich an meinem Kamm gezupft.« – »Gut, gut, gut, gut, das ist
     gut genug für ihn!« riefen die Hühner, und so blieben sie dabei bis ins unendliche. Die Gänse flogen in einem dichten Haufen
     zusammen, steckten die Köpfe zusammen und fragten: »Wer kann das doch nur getan haben? Wer kann das doch nur getan haben?«
    Aber das Sonderbarste bei dem Ganzen war, daß der Junge verstand, was sie sagten. Er war so erstaunt, daß er still auf der
     Treppenstufe stehen bliebund lauschte. »Das muß daher kommen, weil ich in einen Kobold verwandelt bin,« sagte er. »Darum kann ich die Sprache der
     Vögel verstehen.«
    Er fand, es war unleidlich, daß die Vögel nicht aufhören wollten zu sagen, daß es gut genug für ihn sei. Er warf einen Stein
     nach ihnen und rief: »So schweigt doch still, ihr Lumpengesindel!«
    Aber er hatte vergessen, daß er nicht so groß war, daß die Hühner bange vor ihm zu sein brauchten. Die ganze Hühnerschar fuhr
     auf ihn los und stellte
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