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Niedertracht. Alpenkrimi

Niedertracht. Alpenkrimi

Titel: Niedertracht. Alpenkrimi
Autoren: Jörg Maurer
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Cosma, Yvonne und Sylvie standen auf der einen Seite, der Rest der lärmenden Bande auf der anderen des kniehohen Tisches. Der Klingelton eines iPhones ließ in erstaunlich guter Qualität den lautmalerischen Refrain von
My heart beats like a Jungle Drum
erklingen, und alle prusteten los.
    Rra ge dun ge dung ge du ge rra ge dung dung !
    Erst als sie keine Luft mehr bekamen, beruhigten sie sich wieder ein bisschen. Doch schon der nächste Augenkontakt brachte das Fass erneut zum Überlaufen, Jeannie bekam solch einen Lachkrampf, dass sie in ernsthafte Atemschwierigkeiten geriet. Immer wieder brandete eine Welle des Gelächters auf.
    »Meine Damen, ich bitte um etwas mehr Ernst!«, sagte die Frau im Rollstuhl und schob sich an den Tisch, auf dem die Reagenzgläser und Erlenmeyerkolben standen, die mit allerlei farbigen Flüssigkeiten gefüllt waren. Das bisschen Ruhe, das jetzt einkehrte, hielt nicht sonderlich lang. Sally begann mit einem Kiekser, dann explodierte der Haufen der zügellosen Neuntklässlerinnen wieder, Alberta und Jessica brachen unter der Last des Frohsinns zusammen und landeten auf dem gekachelten Fußboden.
     
    »Was ist denn hier los?«, fragte Jennerwein, als er mit Maria Schmalfuß in den Saal kam. Inmitten der grell und bunt gekleideten Teenager ließ sich zunächst keine erwachsene Aufsichtsperson erkennen, schließlich machten sie eine blau bekittelte Frau im Rollstuhl aus.
    »Was hier los ist? Na, das sehen Sie doch!«, sagte diese und kurvte auf die Ermittler zu.
    »Girls’ Day«, krähte eine Vierzehnjährige mit Zahnspange, der Rest von ihr war Amy Winehouse.
    »Burka-Gesicht!«, schrie das Mädchen daneben.
    »Olympia-Vierte!«, schleuderte Amy Winehouse zurück.
    »Girls’ Day in der Pathologie?«, fragte Maria.
    »Ja, eigentlich ist der im April«, sagte die Pathologin, »aber da hatten wir keine interessanten Leichen. Der April ist ein ganz schlechter Monat für Verbrechen. Der Juni ist wesentlich fruchtbarer: Föhn, Kündigungen, Liebesschmerz. Die Ergebnisse sind Totschlag, Mord, Selbstmord.«
    Die Frau im Rollstuhl warf ein großes Bündel weißer Krankenhauskittel in die Meute.
    »Zieht euch das an. Und setzt euch in die Stuhlreihen. Marsch, Marsch. Ich will nichts mehr hören.«
    Die Mädchen schlossen aus dem Ton der Ärztin, dass es jetzt ernst wurde. Nahezu schweigend streiften sie sich die Kittel über, und bald saß ein Dutzend weißer Engelein mit angelegten Flügeln auf den Stühlen, auf denen sonst die Studenten schwitzten und etwas über Y- oder T-Schnitte bei Sektionen lernten.
Dun ge dun ge dung dung!
, flüsterte eine ganz Vorwitzige ihrer Nachbarin noch leise ins Ohr, aber die machte eine unwirsche Handbewegung: Ruhe jetzt!
    »Die Herrschaften sind übrigens von der Polizei«, sagte die Pathologin zu der kurzfristig gezähmten Meute. »Das ist Kriminalhauptkommissar Jennerwein –«
    »Haben Sie schon jemanden erschossen?«, fragte Sally.
    »Heute noch nicht«, entgegnete Jennerwein. Er war sich nicht ganz sicher, ob dieser Humor ankam, aber das tat er, denn die Mädchen stupsten sich an und grienten. Kinder, Narren und Pathologen verstehen Spaß, dachte Jennerwein. Humor verdeckt immer irgendetwas Uneingestandenes, dachte Maria Schmalfuß.
    »Und Sie, Frau Kommissarin?«
    »Ich bin keine Kommissarin«, sagte Maria mit einem kleinen Anflug von Säuerlichkeit. »Ich bin Polizeipsychologin.«
    »Haben Sie da auch eine Waffe?«
    »Nein, ich habe keine Waffe. Das heißt: Meine Waffe ist mein Verstand.«
    Die Girlies wandten sich enttäuscht ab.
     
    Die Pathologin deutete auf den Seziertisch. Die Arbeitsfläche war rollstuhlgeeignet niedriggelegt worden, wie alles hier in dieser gerichtsmedizinischen Abteilung. Auf dem Tisch war ein unförmiges Gebilde zu sehen, das mit einem weißen Laken abgedeckt war, wohl um der Vorführung, die jetzt gleich folgte, den nötigen dramatischen Knalleffekt zu geben.
    »Tod durch
Kachexie
«, begann die Frau im Rollstuhl zu dozieren, sie wandte sich gleichzeitig an die Girls’-Day-Mädchen und an Jennerwein und Maria. »Kachexie bedeutet so viel wie Kräfteverfall oder Entkräftung, das war in diesem Fall vermutlich ein Mix aus körperlicher Erschöpfung, Unterernährung, Flüssigkeitsmangel, Unterkühlung, psychischem Stress –«
    »Jetzt decken Sie endlich auf«, sagte Shalima, und die anderen nickten stumm und gierig.
    »Wie ihr meint«, sagte die Herrin der Unterwelt.
     
    Persephone fuhr ganz zum Tisch und zog die Decke von
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