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Niedertracht. Alpenkrimi

Niedertracht. Alpenkrimi

Titel: Niedertracht. Alpenkrimi
Autoren: Jörg Maurer
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überhaupt keinen Menschen mehr, der hilfsbereite Fremde war hinter ihm geblieben. Er blickte sich um. Eine Faust kam auf ihn zugeflogen. Der Schlag war schnell, hart und humorlos.

    »Kennen Sie diesen Mann? Hat er hier bei Ihnen eine Fahrkarte gekauft?«
    Gleich nachdem er das Lokal verlassen hatte, bereute sie es schon wieder, ihren Freund so angeschrien zu haben. Doch sie hatte ihren Stolz, sie wartete auf seinen Anruf. Als er sich am Abend des nächsten Tages immer noch nicht gemeldet hatte, begann sie, sich Sorgen zu machen. Sie fragte bei seinen Freunden, niemand wusste, wo er war. Er ging nicht ans Telefon. Die Polizei konnte ihr auch nicht helfen. Ist so etwas schon öfter vorgekommen? Aber sicher, schon ein paar Mal. Ja, dann! Ja, dann? – Was soll das heißen? Der Fall wurde aufgenommen und zu den Akten gelegt. Am Morgen des nächsten Tages beschloss sie, zu handeln und Nachforschungen auf eigene Faust anzustellen. Er war ein Fluchttyp, ein Pferdemensch, er war Problemen schon immer gerne aus dem Weg gegangen. Da er kein Auto besaß und nicht gerne flog, hielt sie es für am wahrscheinlichsten, dass er in einen Zug gestiegen und irgendwohin gefahren war. Irgendwohin. Er war einer von denen, die irgendwohin fahren.
    »Kennen Sie diesen Mann?«
    Nein, warum, wer ist das, kenne ich nicht. Endlich betrachtete ein Schalterbeamter das Foto genauer:
    »Ja, der hat hier eine Fahrkarte gekauft. An den erinnere ich mich gut. Der war dermaßen unfreundlich, er hat mir das Geld auf den Tresen geknallt – ich habe sofort auf einen Beziehungsstreit getippt. Man lernt die Menschen kennen in meinem Beruf! Geschichten könnte ich Ihnen da erzählen! Aus seinen Augen sprühten direkt die Funken, so wütend war er. Seine Freundin muss ihn bis zur Weißglut geärgert haben. Ist ja eigentlich immer dasselbe –«
    »Wissen Sie, wohin er gefahren ist?«
    »Er wollte nach Messina, ich habe ihm eine gute Verbindung herausgesucht. Der Zug wäre am nächsten Morgen losgefahren, mit nur viermal umsteigen – das ist doch eine Spitzenleistung der Deutschen Bundesbahn! Er aber wollte unbedingt den nächstmöglichen Zug nach Messina. Gut, sage ich, der braucht halt dann über sechsunddreißig Stunden, man muss zehnmal umsteigen – aber bitte, der Kunde ist König, auch wenn es ein zorniger König ist.«
     
    Nach Messina also. Wieso ausgerechnet dorthin? Sie ließ sich die genaue Verbindung mit allen Zwischenstopps ausdrucken. Sie konnte sich vorstellen, dass sein Zorn in der Höhe von Flintbek, spätestens aber in Bordesholm schon halbwegs verraucht war. Sie nahm den nächsten Zug nach Bordesholm und durchkämmte den ganzen Bahnhofsbereich. Den Taxistand, die Imbissbude und den Blumenladen (wer weiß!), die Fahrkartenschalter.
    »Kennen Sie diesen Mann?«
    Nein, nie gesehen, kenn ich nicht, wer soll das sein. Vielleicht war ja sein Zorn in Bordesholm oder Einfeld noch nicht verflogen, vielleicht glühte er auch noch in Neumünster oder am Ende bis nach Hamburg. Wie weit reichte die eigensinnige Rage eines temperamentvollen Mannes? Vielleicht sogar bis Würzburg? Sie begann noch einmal von vorn.

1
    jädi-ü-ho jodi-ü-hö
    jädi-ü-hö hollaradi ri-hö
    Jodler aus dem Werdenfelser Land
    Die beiden Wanderer bogen um die Kurve und blieben stehen. Sie waren jetzt auf zweieinhalbtausend Meter Höhe, die Luft war merklich kühler als unten im Kurort, wo die Touristen schon in kurzen Hosen von Eisdiele zu Eisdiele schlenderten. Hier oben wurden die beiden Wanderer von bösen Winden attackiert. In der Ferne bäumten sich zwei unförmige Gebirgskegel mit windschiefen, gezackten Gipfeln auf: links die Gatterlköpfe, rechts die Plattspitzen.
    »Was sind denn das für Berge?«, fragte der eine der Wanderer.
    »Links, das ist der Brunntalstein, rechts der Blassenkopf«, entgegnete der andere.
    »Ist das rechts nicht eher das Schroffkogeleck?«
    »Das Schroffkogeleck auf keinen Fall.«
    »Es muss das Schroffkogeleck sein. Der Blassenkopf ist doch ganz woanders.«
    Der Blassenkopf lag wirklich ganz woanders. Der Brunntalstein und das Schroffkogeleck aber auch.
     
    Die beiden Wanderer sahen sich um. Notgedrungen mussten sie den Weg räumen. Kopfschüttelnd machten sie Platz für ein eiliges Trio, zwei Männer und eine Frau, die durch das Karstgelände marschierten, als wäre es ein Polizeieinsatz.
    »Idioten«, sagte der eine der Wanderer.
    Es war ein Polizeieinsatz. Drei Mitglieder der Mordkommission IV , nämlich Hauptkommissar Hubertus
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