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Nie genug von dir

Nie genug von dir

Titel: Nie genug von dir
Autoren: Melanie Hinz
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gerne mehr davon.
    "Im Sommer öfter, dann ist es nicht so kalt. Ich kann mich vor das Fenster setzen, den Ausblick genießen und dabei zeichnen. Da brauche ich keinen Fernseher."
    "Ich erinnere mich, dass du in der Schule die Pausen lieber mit deinem Zeichenblock verbracht hast, statt dich mit irgendjemandem zu unterhalten." Nur mit großer Anstrengung schaffe ich es, ein Gähnen zu unterdrücken. Die Nachtschicht der letzten Woche holt mich nun ein.
    "Stimmt. Aber sicher nicht, weil ich mir als etwas Besseres vorkam."
    "Was war es dann? Erklär es mir."

Markus
     
    Nicht für eine Sekunde habe ich erwartet, dass sie das Thema ruhen lässt. Es gibt Gründe für mein damaliges Verhalten. All das ist heute kein Drama mehr, dafür ist zu viel Zeit vergangen. Umso mehr stört es mich, dass es dennoch zwischen uns steht.
    Ich lege uns die zweite Decke über die Schultern und rücke etwas näher an sie heran. Inzwischen ist ein kleines Stück der Sonne zu sehen. Der Himmel ist blutrot verfärbt und taucht die Oberstadt in ein unheimliches Licht. Ich liebe diesen Ausblick.
    "Ich bin ja zwei Jahre älter als du", beginne ich meine Erklärung. Sie nickt und wartet auf meine weiteren Worte. Ein paar Details hat sie bestimmt noch im Kopf, aber ich bin mir sicher, dass sie nur die halbe Story kennt.
    "Mein Papa ist gestorben, da war ich 13. Herzversagen. Er ist beim Sonntagsfrühstück einfach vom Stuhl gekippt und war sofort tot. Da war er gerade einmal 45 Jahre alt."
    Sie legt mir eine Hand auf den Unterarm, als Zeichen ihrer Anteilnahme, schaut aber weiterhin aus dem Fenster. Ich bin etwas enttäuscht, dass der dicke Stoff meiner Jacke unsere Haut voneinander trennt.
    "Es ist okay. Das war vor einer langen Zeit, doch damals hat es dazu geführt, dass ich zweimal ein Schuljahr wiederholen musste. Zuerst kurz nach seinem Tod, weil ich da grandios abgesackt bin, da ich mich nicht mehr konzentrieren konnte. Und dann das 13. Schuljahr, weil ich das Bedürfnis hatte, alles und jedem den Stinkefinger zu zeigen und fast nur noch geschwänzt habe. Bis mein Onkel, der Bruder von meinem Vater, mich auf den Hosenboden gesetzt hat. Da habe ich mich wieder gefangen. Damals war es ein beschissenes Gefühl, überall der Älteste zu sein. Mit den Jungs konnte ich nichts anfangen und für die Mädels war ich das Objekt der Begierde, bloß weil ich der ältere, vermeintlich geheimnisvolle Kerl war. Mich hat das einfach nur noch genervt. Ich wollte mein Abi machen und hatte die Hoffnung auf Freundschaften schon längst aufgegeben. Selbstverständlich habe ich die Gerüchte über meinen Frauenverschleiß mitbekommen, aber ich kann dir versichern, dass nicht mal ein Bruchteil davon stimmt."
    Sie nimmt das nur nickend zur Kenntnis und reibt sich die Augen. Natürlich ist sie nach ihrer Nachtschicht hundemüde.
    "Sollen wir runter gehen? Du bist ja völlig erledigt."
    "Nein!" Energisch schüttelt sie den Kopf. "Erst will ich den Sonnenaufgang sehen." Sie stellt ihre Tasse beiseite und hakt sich bei mir ein. Als sie ihren Kopf auf meine Schulter legt, kann ich nur noch grinsen.

Nadine
     
    Nur meine unerschöpfliche Müdigkeit entschuldigt, dass ich auf seiner Couch versackt bin. Ich erinnere mich, dass er mir frischen Kaffee gebracht hat und dann nachsehen wollte, was sein Kühlschrank fürs Frühstück hergibt. Danach weiß ich nichts mehr.
    Doch jetzt fühle ich mich wunderbar warm und entspannt. Offenbar hat er mich zugedeckt. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich mich noch selbst hingelegt habe oder ob er nachgeholfen hat, weil ich im Sitzen eingeschlafen bin.
    "Ist dir bewusst, dass wir in einer Zwickmühle stecken?", höre ich ihn erschreckend nah. Ich mag gar nicht die Augen öffnen, denn hier ist es gerade so gemütlich und es riecht so gut nach ihm.
    "Welche Zwickmühle ist das?", frage ich mit rauer Stimme und hebe vorsichtig ein Lid. Er sitzt mir gegenüber in einem alten Ledersessel, der auch schon mal bessere Tage gesehen hat.
    "Ich habe wirklich versucht, dich zu wecken. Aber du hast geschlafen wie ein Stein und jetzt haben wir Abend."
    "Und wo genau ist da das Problem?" Nun muss ich beide Augen öffnen, um ihn vernünftig anschauen zu können.
    "Vielleicht ist es dir nicht bewusst, weil du noch nicht richtig aufgewacht bist, aber es ist Silvester."
    Das hatte ich tatsächlich für einen Moment vergessen.
    "Keine Sorge, ich lass dich gleich alleine. Ich muss nur eben wach werden", sage ich und erhebe mich in eine sitzende Position.
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