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Nie genug (German Edition)

Nie genug (German Edition)

Titel: Nie genug (German Edition)
Autoren: Melanie Hinz
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Blicke in den Spiegel unterhalb meines Halses. Mein Gesicht mag ich, auch wenn es für meinen Geschmack etwas zu rund ist. Dadurch werde ich meist einige Jahre jünger geschätzt, was durchaus seinen Reiz hat, wenn man auf die 30 zugeht.
    Frustriert greife ich nach den obligatorischen Jeans, bei denen ich noch nicht mal mehr den obersten Knopf schließen kann. Dazu kombiniere ich ein weites Sweatshirt, mit dem ich meine offene Hose überdecken kann.
    Scheiß Schokoriegel. Scheiß Sexfrust.
     
    So sehr ich meine Unabhängigkeit auch liebe, freue ich mich doch jedes Mal, wieder nach Hause zu kommen. Meine Mutter wohnt immer noch in dem 300-Einwohner-Dorf, in dem ich meine Kindheit verbracht habe. Nachdem mein Vater vor zehn Jahren an Lungenkrebs gestorben ist, wollte ich sie überreden, ein bisschen zentraler umzuziehen. Ich wohne zwar auch nicht im Zentrum, aber in einem Stadtteil von Mönchengladbach, in dem alle Einkaufsmöglichkeiten vorhanden und fußläufig zu erreichen sind. Meine Mutter aber ist aus ihrem Dorf nicht rauszubekommen, und ich kann sie verstehen. 30 Jahre sind eine lange Zeit, an denen viele Erinnerungen hängen. Es würde ihr das Herz brechen, das Haus aufgeben zu müssen, das sie mit meinem Vater so mühsam aufgebaut hat.
    Ich sehe sie in der Küche stehen, als ich auf den kleinen Hof hinterm Haus fahre, um mein Auto zu parken. Lächelnd schaut sie auf, als sie mich hört, und kommt gleich darauf zur Haustür.
    Noch bevor ich meine Mutter begrüßen kann, kommt ein kleiner Wirbelwind hinter ihr hervorgeschossen. Jolina, die 3jährige Tochter ihrer Nachbarin, auf die sie gelegentlich aufpasst.
    „Emma, Emma!“, ruft sie mir entgegen und fliegt mir in die Arme. „Tante Gina hat mit mir Kekse gebackt. Ganz riesengroße, wie das Krümelmonster isst.“
    Keine Ahnung, warum, aber kleine Kinder lieben mich. Es ist noch nicht mal so, als würde ich auf sie zugehen. Nein, sie kommen immer gleich zu mir, ohne dass ich mich um ihre Aufmerksamkeit bemühen muss.
    „Hey Jolina.“ Ich nehme sie hoch und gehe mit ihr zur Tür. „Ihr habt Kekse gebacken? Darf ich die probieren?“
    „Du musst, Emma.“ Sie presst mir ihren duftenden, blonden Lockenkopf in die Halsbeuge. Mit Jolina auf dem Arm drücke ich meine Mutter an mich und begrüße sie. Jolina befreit sich aus meinem Griff und rennt ins Wohnzimmer.
    „Wo geht sie hin?“, frage ich. Gemeinsam gehen wir in die Küche, wo der Duft nach frisch gebackenen Keksen überwältigend ist.
    „Vermutlich holt sie ihr Teegeschirr, damit sie dir angemessen servieren kann.“ Wir setzen uns gegenüber an den Küchentisch. Meine Mutter lächelt mich an. Sie sagt nichts und gibt mir nur diesen ‚Ich sehe dich so lange an, bis du mir sagst, was los ist – Blick‘. Ich hasse es, wenn sie das tut. Das ist etwas, was wohl nur Mütter können. Dieser Blick hat mich schon Dinge eingestehen lassen, von denen meine Mutter noch nicht mal einen Verdacht hatte.
    „Wie geht’s dir, Ma?“, frage ich, in dem naiven Versuch, den Spieß umzudrehen.
    „Gut, Emma. Mir geht es immer gut, das weißt du doch. Dein Bruder hat sich beschwert, dass du ihn schon so lange nicht mehr angerufen hast.“
    „Ich hab viel Arbeit zurzeit, Mama. Aber ich ruf ihn die Tage mal an. Davon abgesehen, die Leitung funktioniert in beide Richtungen.“
    „Emma“, seufzt meine Mutter schwer. „Mir gefällt es nicht, dass du dich so sehr in deinem Haus vergräbst und keine Freundschaften mehr pflegst. Ich weiß, dass du arbeitest. Aber das kann doch nicht alles sein.“
    Ich hasse es, wenn sie recht hat. Jolina kommt mit ihrem Puppengeschirr zurück und unterbricht zu meiner Erleichterung dieses Gespräch.
     
    Nach dem Abendessen verabschiedet meine Mutter mich mit ermahnenden Worten und einer großen Dose Kekse. Als ob ich davon nicht schon genug hätte. Sowohl Gebäck, als auch ein schlechtes Gewissen. Sie meint es nicht so, aber es verhagelt mir die Laune. Auf der zehnminütigen Fahrt nach Hause lacht mich die Keksdose vom Beifahrersitz an. Fast schon automatisch schiebe ich mir nach und nach drei Stück in den Mund. Als hätte ich nicht schon genug bei meiner Mutter gegessen.
    Zuhause angekommen steige ich aus dem Auto aus und suche mal wieder den Haustürschlüssel in meiner übergroßen Handtasche. Gleichzeitig balanciere ich die Kekse in einer Hand und stolpere dabei fast über die Gestalt, die im Dunkeln vor meiner Haustür sitzt.
    „Guten Abend, schöne Frau“, erklingt die
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